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Krise, Höhenflug, Krise

Von Simon Rosner

Leitartikel

Ein Wellenbad der Sozialdemokratie oder doch alles normal?


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Vor sieben Jahren steckten fast überall in Europa sozialdemokratische Parteien in fundamentalen Krisen. Vier Jahre danach: In etlichen Ländern im Norden und Süden und sogar in der riesigen Lunge Europas, nämlich in Deutschland, regierten Sozialdemokraten. Die Pandemie, orakelten Politikwissenschafter damals, hätten Parteien, die für einen starken Staat stehen, für Wählerinnen und Wähler wieder attraktiver gemacht.

Das mag nicht grundlegend falsch gedacht sein, aber bekanntlich ist auch jetzt Krise, nicht mehr Covid, dafür Inflation, und die Sozialdemokratie hat gerade auf spektakuläre Weise Berlin verloren.

Nun lassen sich sicher 1.001 Berlin- oder zumindest Deutschland-spezifische Gründe finden, warum in der seit 20 Jahren stabil roten Hauptstadt die SPD am Wahltag absackte. Zum Beispiel ist Berlin zwischen 1975 und 2001 CDU-geführt gewesen und nicht mit dem "Roten Wien" vergleichbar; auf Bundesebene ist die Kanzlerpartei SPD in Umfragen mittlerweile unter die 20-Prozent-Marke gefallen.

Aber es ist andererseits schon auffällig, dass in den allermeisten europäischen Ländern in dieser Teuerungskrise, die laut politischen Beobachtern eine Art Elfmeter ohne Torwart für die Sozialdemokratie sein müsste, eben die sozialdemokratischen Parteien in den Umfragen eher schwächeln. Das betrifft zum Beispiel Portugal und Spanien, wo sie regieren, es betrifft aber auch die Niederlande und Österreich, wo sie nicht regieren. Und es betrifft die Schweiz, wo alle regieren.

Ist also der rote Höhenflug vorbei, der vor zwei Jahren eingesetzt hat, nachdem vier Jahre davor das Ende besiegelt war, obwohl gegenwärtig die Themenlage ein Heimspiel wäre?

Oder waren die Schlüsse, auch der Vergangenheit, vielleicht ein wenig zu einfach oder gar einfältig? Ähnliche apodiktische Aussagen in der einen oder anderen Richtung wurden auch über konservative Parteien getätigt, die einmal im strategischen Dauerdilemma stecken und von rechtspopulistischen Kräften aufgerieben werden, dann wieder dank zugkräftiger Spitzenkräfte wie Angela Merkel, Sebastian Kurz oder Mark Rutte auf einer Welle surfen.

Dass frühere Großparteien in der Langzeitsicht massiv an Wählerstimmen verloren haben, ist gewiss ein Fakt. Aber nicht neu. Und der ganz große Aderlass ist gerade in den vergangenen sieben Jahren nicht wirklich zu beobachten gewesen, eher ein Hin und Her. Was aber auffällt: Die Unzufriedenheit und Ungeduld der Wähler mit Regierenden dürfte größer, nicht geringer werden. Machtwechsel sind fast die Regel. Nun könnte man sagen: In einer Demokratie ganz normal. Das stimmt auch. Aber eine Legislaturperiode ist für politische Nachhaltigkeit schon sehr kurz.