Mit der Wiener Weltausstellung von 1873 wollte die Monarchie reüssieren - doch ein Börsenkrach ließ den Traum platzen.
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Es war eine düstere Nachricht: "Die weitgehendsten Besorgnisse und Befürchtungen der schwärzesten Pessimisten sind durch die Ereignisse der abgelaufenen Börsenwoche um vieles überholt worden", so berichtete das "Wiener Handelsblatt" am 10. Mai 1873 über das, was am Tag zuvor an der Börse geschehen war. Der Aktienmarkt war an diesem schwarzen Freitag und nur eine Woche nach der pompösen Eröffnung der Weltausstellung in Wien völlig zusammengebrochen.
Prestigeprojekt
Jahrelang hatte Österreich-Ungarn ein hohes Wirtschaftswachstum verzeichnet, das sich aber in eine enorme Spekulationsblase ohne realwirtschaftliche Unterlage verwandelte. Sie platzte just zu der Zeit, als sich die Doppelmonarchie mit der Weltausstellung als innovatives und prosperierendes Land zeigen wollte.
Seit dem Jahr 1851 waren die Weltausstellungen der Versuch, in einer im wahrsten Sinn des Wortes begreifbaren Weise das Wissen der Welt darzustellen. Die ersten vier Weltausstellungen fanden abwechselnd in den globalen Me-tropolen London und Paris statt. Als Austragungsort für die fünfte dieser Ausstellungen wurde Wien gewählt. Die Donaumonarchie wollte mit dieser Veranstaltung ihren Rang als Großmacht beweisen, umso mehr, als erst wenige Jahre zuvor durch die verlorenen Schlachten von Solferino und Königgrätz das internationale Ansehen der Monarchie gelitten hatte. Die prestigereiche Großveranstaltung kam gerade recht, um sich als wiedererstarkte Großmacht im Zentrum Europas zu präsentieren.
Die wirtschaftlichen Vorzeichen für die Weltausstellung waren sehr gut. Aus den Industriegebieten wurden laufend technische Innovationen gemeldet, die Auftragsbücher der Eisen- und Stahlproduzenten waren voll, sie konnten immer mehr Leute anstellen. All die produzierten Güter mussten transportiert werden, das Geschäft der damals noch privaten Eisenbahnen lief daher auf Hochtouren. Sie investierten deswegen in den Ausbau ihrer Netze und trieben das Wachstum noch weiter an.
Auch die Stadt Wien selbst erlebte in diesen Jahren einen tiefgreifenden Umbruch. Der Prachtboulevard der Ringstraße mit seinen repräsentativen Bauten ersetzte die mittelalterlichen Befestigungen, die bis dahin die Innenstadt umgeben hatten. Bahnhöfe und Bahnlinien wurden gebaut, die erste Hochquellenleitung wurde angelegt, um die stetig wachsende Bevölkerung mit sauberem Wasser zu versorgen. Zugleich wurde das Großprojekt der Donauregulierung in Angriff genommen, um die immer wiederkehrenden Überschwemmungen der Stadt zu verhindern.
Kurz: Die Gründerzeit stand in voller Blüte und es herrschte Hochkonjunktur in der Habsburgermonarchie. Immer mehr neue Unternehmen wurden gegründet, von denen viele aber nur durch Kredite finanziert waren. Man glaubte, dass dieses spektakuläre Wachstum andauern würde, um die Rückzahlung der Kredite würde man sich später kümmern.
Dieser Boom in Österreich-Ungarn sorgte auch im Ausland für Aufsehen, vor allem in Deutschland. Das erst im Jahr 1871 gegründete deutsche Kaiserreich hatte kurz zuvor einen Krieg gegen Frankreich gewonnen und kassierte hohe Reparationen. Viel von diesem Geld landete in Wien und trieb hier die Kurse weiter in die Höhe.
Überhitztes Wachstum
Das Wachstum hatte mittlerweile aber ein so großes Ausmaß erreicht, dass die ersten warnenden Stimmen zu hören waren. Am 1. Jänner 1873 hieß es in einem Artikel, dass viele der jungen Unternehmen eben "nicht mit Geld, sondern mit Kredit gegründet wurden", und stellte die Frage, ob "mit der Weiterentwicklung dieses Spieles dem Volkswohlstande ein Dienst geleistet wird". Wenige Tage später folgte die nächste Warnung: "Es bedarf nur eines zündenden Funkens von außen, und die längst vorhergesagte Katastrophe tritt ein."
Vor allem die mangelhafte, eigentlich nicht existierende Börsenaufsicht wurde kritisiert: "Alle Behörden, in deren Kompetenz es gelegen wäre, für einen geregelten Rechtszustand des Börsenverkehrs zu sorgen, haben sich als ohnmächtig erwiesen." Aber nur wenige Seiten hinter dieser tadelnden Analyse fand sich ein ganzseitiges Inserat von "J.B. Placht, Bankhaus für Fonds-Speculationen an der k.k. Wiener Börse", das Investoren "ohne Risico höchste Fructifizierung von Bargeld" und "20percentiges Erträgniss" in Aussicht stellte. Doch damit zeigte sich das Bankhaus Placht noch bescheiden, der Wiener Bankverein hatte kurz zuvor eine Dividende in der Höhe von sagenhaften 80 Prozent gezahlt.
Bei diesen Renditen wurden alle Warnungen in den Wind geschlagen, immer weitere Bevölkerungsschichten wollten am Boom teilhaben und an der Börse investieren. Sogenannte Börsencomptoirs wurden gegründet, die auch Klein- und Kleinstanlegern ermöglichen sollten, von den sagenhaften Gewinnmöglichkeiten zu profitieren. In ihren Annoncen versprachen sie, "jedermann Gelegenheit zu bieten, auf eine leichte Weise durch kleine Ersparnisse in kurzer Zeit in den Besitz von Staats- und anderen Werthpapieren zu gelangen". Und damit kein Zweifel an diesem Angebot bestand, fügte man hinzu, dass man "mit strengster Redlichkeit und bester Gewissenhaftigkeit jedem einzeln Beitretenden mit Rath und That" zur Seite stehen werde.
Ehrgeizige Pläne
In diese Phase eines unbegrenzt anmutenden Wachstums für alle fielen die Vorbereitungen für die Weltausstellung. Sie sollte ein Zeichen dieser brummenden Wirtschaft sein und aller Welt zeigen, was Österreich-Ungarn zu leisten vermochte. Mit Wilhelm von Schwarz-Senborn wurde ein Diplomat, der die österreichischen Beiträge zu vorigen Weltausstellungen koordiniert hatte, als Generaldirektor für die Planungen eingesetzt. Im Prater wurde ein Gelände verbaut, das fünfmal größer als jenes der letzten Weltausstellung von Paris war.
In weniger als zwei Jahren entstand eine Planstadt, die von dem mehr als 900 Meter langen Industriepalast dominiert wurde. In seiner Mitte wiederum stand die Rotunde, der damals größte Kuppelbau der Welt, als Blickfang. Sie sollte ein Wahrzeichen Wiens bleiben, bis sie im Jahr 1937 abbrannte. Die Bevölkerung der Stadt wartete gebannt auf den Beginn der Ausstellung und schon im Februar wurden zahlreiche Besucher auf dem Gelände gezählt, die sogar bereit waren, für den Besuch der Baustelle Eintritt zu zahlen.
Die Weltausstellung war eine Art Leistungsschau, bei der die Staaten versuchten, ihr Wissen und Können zu präsentieren. Für Firmen aus aller Welt stellte sie eine Möglichkeit dar, sich auf einer großen Bühne zu zeigen und neue Geschäfte anzubahnen. So wurde nicht nur bei den Organisatoren der Ausstellung in Österreich-Ungarn ein enormer Aufwand betrieben, sondern auch in vielen anderen Ländern der Erde, wie ein Blick in die Vereinigten Staaten zeigt.
Die Baumwoll- und Stahlindustrie der jungen Großmacht war auf der Wiener Weltausstellung ebenso vertreten wie Unternehmen aus dem Bergbau und Eisenbahngesellschaften. Weine aus Kalifornien wurden nach Wien gebracht, dazu "Zucker, Mehl und Tabak in allen Formen und Gattungen", wie es in einem Bericht aus dieser Zeit heißt. Auch die kulturellen Leistungen sollten dargestellt werden und so wurde ein "vollständig eingerichtetes, mit einer Sammlung aller in Amerika gebräuchlichen Lehrmittel und Schulbücher ausgestattetes Schulhaus" über den Atlantik gebracht und in Wien aufgebaut.
Die italienische Regierung kündigte an, dass 3.200 italienische Aussteller nach Wien kommen würden, und in Brasilien musste wegen des großen Andrangs sogar eine Vorausstellung abgehalten werden, um jene Unternehmen und Produkte auszuwählen, die das Land vertreten sollten. Großes Aufsehen erregten Gäste aus dem Fernen Osten, denn das damals als besonders exotisch empfundene Japan nahm in Wien zum ersten Mal an einer Weltausstellung teil.
Schattenseiten
Die Weltausstellung bot Wien zwar eine Möglichkeit, sich als wirklich globale Metropole zu präsentieren, für viele Einwohner der Stadt hatte sie aber auch Schattenseiten. Die Stadt war in den Jahren und Jahrzehnten zuvor stark gewachsen, und die Großprojekte im Zusammenhang mit der Weltausstellung sorgten für weiteren Zuzug. Die Preise für Immobilien stiegen und stiegen: "Es beeilt sich ein Jeder, mit dabei zu sein, wenn die elendesten, für den Abbruch reifen Spelunken einen Marktwerth erlangen, der den Kostenpreis der herrlichsten Paläste übersteigt."
Trotz der hohen Preise für Baugrund wurden zahlreiche Hotels gebaut, denn die erwartete Zahl von 20 Millionen Besuchern versprach ein gutes Geschäft. Neben den besseren Unterkünften gab es aber auch solche für Gäste, deren Geldbeutel nicht so gut gefüllt war. Massenquartiere mit "gesunden Schlafsälen und reinlichen Betten" wurden angeboten. Wer ein ausgefalleneres Quartier suchte, wurde an der Donau fündig. Dort waren Boote, die eigentlich für den Gütertransport vorgesehen waren, zu Hotelschiffen umgebaut worden.
Zahlreiche Wiener hatten gehofft, dass sie ihre Wohnungen für die Dauer der Weltausstellung mit Profit untervermieten könnten, und waren deswegen aufs Land gezogen. Diese Rechnung ging aber nur in wenigen Fällen auf, denn viele der privaten Zimmervermieter verlangten völlig überzogene Preise und fanden deswegen keine Gäste.
Ob Hausherr oder Bettgeher, eines betraf alle Wiener, nämlich die "ungeheure Theuerung der Lebensmittel". In einem Bericht hieß es dazu: "Die Fremden sind über die Preise in den Gasthäusern verblüfft und die Bevölkerung Wiens leidet unter diesen Umständen nicht minder." Die Zeitung kam daher zu einem ernüchternden Schluss: "Im Allgemeinen werden aber die Wiener doch nur die Schattenseiten der Weltausstellung empfinden."
Am 1. Mai 1873 war es jedenfalls so weit. Kaiser Franz Joseph eröffnete die Weltausstellung mit salbungsvollen Worten: "Mit lebhafter Befriedigung sehe ich die Vollendung eines Unternehmens, dessen Wichtigkeit und Bedeutung ich in vollstem Maße würdige. Mein Vertrauen in den Patriotismus und die Leistungsfähigkeit meiner Völker, in die Sympathien und die Unterstützung der uns befreundeten Nationen hat die Entwicklung des großen Werkes begleitet."
In der Rotunde, also im Zentrum des Geschehens, präsentierten sich Österreich und Deutschland, die beiden Länder bildeten damit auch den Mittelpunkt der Ausstellung. Ungarn und Österreich stellten übrigens getrennt aus, um die Eigenständigkeit der beiden Reichshälften zu betonen. Die Anordnung der teilnehmenden Staaten - mit Wien als Referenzpunkt - war von West nach Ost konzipiert, und je weiter die ausstellenden Länder von Wien gelegen waren, umso weiter waren sie auf dem Gelände der Ausstellung auch von der Rotunde entfernt. Nach Osten stellten also Länder wie Russland, Persien, China und Japan aus, westlich der Rotunde waren allen voran Großbritannien, Frankreich und die Vereinigten Staaten vertreten. Ein Spaziergang durch das Ausstellungsgelände wurde so zu einer Tour um die Welt.
Es war also alles getan, um die Weltausstellung zu einem großen Erfolg zu machen, trotzdem sollte es anders kommen. Am Eröffnungstag drückten strömender Regen und kühles Wetter die Stimmung. Schlimmer aber war, dass mit einem Mal auch an der Börse die Luft heraußen war. Mehrere kleine und auf purer Spekulation beruhende Unternehmen gingen in den ersten Tagen der Weltausstellung pleite.
Wirklich kritisch wurde es aber am 9. Mai, als das bekannte Börsecomptoir Petschek Insolvenz anmeldete und damit den Börsenkrach einleitete. Petschek hatte Schuldscheine in Umlauf gebracht, die nur zu einem geringen Teil gedeckt waren. Dieses Spiel war eine Zeit lang gut gegangen, aber nun platzte die Blase. Viele andere Unternehmen wurden mitgerissen, eine Insolvenz folgte auf die nächste und noch am Vormittag musste der Handel ausgesetzt werden.
Vermögen verloren
Am folgenden Tag war von einer "Katastrophe, welche über die Wiener Börsen hereingebrochen ist, die Existenzen vernichtet und Familien ruiniert hat" zu lesen und ernüchtert hieß es nach jahrelangen Spekulationen: "Wie von Dämonengewalt ist das Gebäude zusammengebrochen, welches aus Aktien aufgebaut war."
Der Handel an der Börse wurde tagelang ausgesetzt, erst nach dieser Zwangspause verbesserte sich die Lage. Viele der österreichischen Aktien waren durch die Kurseinbrüche so billig, dass Investoren aus dem Ausland die Chance nutzten und einstiegen. Allerdings galt das nur für große und solide Unternehmen wie Banken und Eisenbahngesellschaften. Es kam zu einem - wenn auch sehr moderaten und kurzen - Anstieg der Kurse, auf den im Herbst des Jahres 1873 aber ein neuer, noch tieferer Einbruch folgen sollte. Die Anteile an den kleinen und erst kurz zuvor gegründeten Firmen, die auf der Spekulation fußten und sie zugleich angetrieben hatten, waren wertlos.
In allen Gruppen der Bevölkerung waren Opfer des Börsenkrachs zu finden. Unter den Prominenten, die ihr Vermögen verloren hatten, befand sich etwa Gustav Epstein, Bankbesitzer und Erbauer des gleichnamigen Palais am Ring. Ein Angestellter des Hauses, der mit Geldern der Bank spekuliert hatte, sprang aus Verzweiflung aus dem Fenster - "bedeutende Börsenverluste sind das Motiv dieses Selbstmords", wie lapidar vermeldet wurde.
Auch Ludwig von Gablenz, ein allseits respektierter General der Kavallerie und Mitglied des Herrenhauses, verlor sein Geld im Börsenkrach. Die privilegierte Stellung bei Hofe und sein Ansehen waren damit weg und so sah auch er keinen anderen Ausweg als Selbstmord. Neben diesen Promis waren es zahlreiche kleine Anleger, die nun ohne Ersparnisse dastanden, deren Schicksale aber nicht in den Geschichtsbüchern vermerkt sind.
Teuerer Flop
Zu diesem Einbruch der Börsenkurse passte, dass auch die Weltausstellung, die das Wirtschaftswachstum beflügelt hatte, zu einem Flop wurde. Berichte über die Abzocke der Wiener Wirte und Vermieter hatten bereits in vielen Ländern die Runde gemacht und die Reiselust des internationalen Publikums nicht gerade beflügelt. Im Juli 1873 brach noch dazu eine Choleraepidemie aus, die Besucher abschreckte. Anstatt 20 Millionen Gäste, die man sich erhofft hatte, kamen schließlich etwas mehr als 6 Millionen. Die Besucherzahlen blieben weit hinter den Erwartungen zurück und so schloss die Weltausstellung am 31. Oktober 1873 mit einem beachtlichen Defizit.
Die Ausstellung erfüllte zwar nicht die Hoffnungen, die in sie gesetzt worden waren, und blieb als ein Fiasko in der öffentlichen Erinnerung. Bei aller Kritik muss aber auch festgehalten werden, dass dieses Großvorhaben einen Modernisierungsschub auslöste und die Stadt in so manchem Aspekt auf die Höhe der Zeit brachte.
Am Ende des Jahres 1873, das viele sich so verheißungsvoll vorgestellt hatten, war also Katzenjammer angesagt. Der wirtschaftliche Zusammenbruch hatte nach Ansicht von Historikern auch Auswirkungen auf die österreichische Mentalität: Eine kurze Phase des Liberalismus ging mit ihm zu Ende, das Streben nach wirtschaftlicher Sicherheit wurde größer und führte zu Verstaatlichungen und protektionistischen Maßnahmen.
Die Habsburgermonarchie war damit aber nicht allein, die Krise verbreitete sich über Europa und die USA. Erst 1895, also mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Wiener Börsenkrach, wurde diese sogenannte Große Depression, die weltweit die Entwicklung der Wirtschaft bremste, überwunden.
Christian Hütterer, geboren 1974, Studium der Politikwissenschaft und Geschichte in Wien und Birmingham, schreibt Kulturporträts und historische Reportagen.
Das Technische Museum Wien zeigt bis 2. Juli die Ausstellung "Women at Work - 150 Jahre Frauenpavillon der Wiener Weltausstellung".