Die Anzeichen für eine Erholung nach dem tiefen Wirtschaftseinbruch und damit die Wahrscheinlichkeit eines U-förmigen Konjunkturverlaufs mehren sich. Ein vorübergehender Rückschlag kann allerdings nicht ausgeschlossen werden. Die Arbeitsmarktentwicklung läuft der Konjunktur beträchtlich hinterher, die Banken- und damit Finanzierungsprobleme der Wirtschaft werden uns wohl auch im kommenden Jahr begleiten, und es ist kaum abschätzbar, wie sich die Rücknahme der massiven staatlichen Konjunkturstützungsmaßnahmen nach 2010 auswirken.
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Wie rasch auch immer das Ende der schlimmsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg kommt, eine Auswirkung wird uns noch viele Jahre danach begleiten: die sprunghaft angestiegene Staatsverschuldung. Für Österreich dürfte der Anteil der öffentlichen Verschuldung am Bruttoinlandsprodukt um etwa 20 Prozentpunkte ansteigen, von rund 60 Prozent auf nahezu 80 Prozent. Die Rückführung dieser hohen Verschuldungsquote ist auf Grund europäischer Vorgaben notwendig, vor allem aber deswegen, weil die riesige Zinsenbelastung den ohnehin geringen Ausgabenspielraum im Budget auf nahezu null reduziert.
Die Budgetsanierung angesichts eines längerfristig gedrückten Wirtschaftswachstums auf der einen Seite und des Drucks auf steigende Ausgaben für Zukunftsinvestitionen in Bildung, Innovation und Infrastruktur sowie für das Gesundheits- und Pensionssystem auf der anderen wird schmerzhaft sein. Sie wird ausgaben- und einnahmenseitig erfolgen müssen und Verteilungskonflikte auslösen, deren Vorläufer bereits heute zu beobachten sind.
Diese Konflikte werden sich zwischen der jüngeren und älteren Generation abspielen, zwischen den Beziehern höherer und niedriger Einkommen, zwischen Vermögenden und Armutsgefährdeten, zwischen denen, die Arbeit haben, und denen, die von Sozialtransfers leben, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Verteilungskonflikte werden auch das Verhältnis zwischen Bund und Bundesländern belasten, wenn ein neuer Finanzausgleich auszuhandeln ist.
Die Frage der Gerechtigkeit wird zunehmend die öffentliche Diskussion beherrschen. Allerdings ist Gerechtigkeit kein Begriff, der allgemein gültig definierbar ist. Entscheidend ist das subjektive Gefühl. Wenn große Teile der Bevölkerung sich ungerecht behandelt fühlen, sind sozialer Friede und gesellschaftlicher Zusammenhalt gefährdet.
In dieser Situation bedarf es einer verantwortungsvollen Politik, die aus den Verteilungskonflikten kein politisches Kleingeld schlägt - was aber wohl eine fromme Hoffnung bleiben wird. Umso wichtiger wird die Führungsqualität einzelner Spitzenpolitiker sein sowie die gemeinsame Überzeugung, dem Wirtschaftswachstum entsprechenden Vorrang einzuräumen. Wir müssen zuerst einen größeren Kuchen backen, bevor wir über seine Verteilung diskutieren können.
Erhard Fürst war Leiter der Abteilung Industriepolitik/Wirtschaft in der Industriellenvereinigung.