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"Krise wird nicht voll auf Konsum durchschlagen"

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft
René Tritscher, Geschäftsführer der Bundessparte Handel der Wirtschaftskammer Österreich, und Bettina Lorentschitsch, die neue Obfrau der Bundessparte Handel.
© Pessenlehner

Handel bleibt stabiler Faktor, erwartet Handels-Obfrau Bettina Lorentschitsch.


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"Wiener Zeitung": Im  Weihnachtsgeschäft geben manche Geschäfte schon jetzt Rabatte von 50 Prozent und mehr. Schmeißen die Händler die Nerven weg?Bettina Lorentschitsch: Derzeit liegt der Umsatz im Weihnachtsgeschäft vier Prozent über dem Rekordwert aus dem Vorjahr. Die Geschäftsleute machen gezielte Aktionen abseits vom Winter- und Sommerschlussverkauf. Die Kaufleute verschleudern ihre Ware nicht, sondern achten dabei natürlich auf ihren Gesamtertrag. Mit den Aktionen bringen die Händler mehr Kunden ins Geschäft, und die Preisnachlässe werden ja nur auf ausgewählte Produkte oder Warengruppen gewährt.

Die Diskussion um die Sonntagsöffnung ist neu entflammt, weil die Einrichtungskette Interio am vergangenen Sonntag im Einkaufszentrum am Wiener Westbahnhof geöffnet hatte. Sollten die Geschäfte auch am Sonntag aufsperren dürfen, zumindest an fünf bis sechs Sonntagen pro Jahr?Lorentschitsch: Die Regelung zur Sonntagsöffnung ist sinnvoll und gut, wie sie derzeit ist. Man darf die ökonomischen Aspekte nicht vergessen: Bei einer Sonntagsöffnung - auch an einigen Sonntagen pro Jahr - würde der Umsatz nicht steigen, sondern sich lediglich verschieben. Gewisse Gegenden, etwa in Städten und Tourismusregionen, würden dabei stärker profitieren als andere. Das wichtigste Argument gegen die Sonntagsöffnung ist das gesellschaftspolitische:  Unsere Gesellschaft ist auf den Sonntag als Ruhetag ausgelegt, ebenso wie die Infrastruktur für Unternehmer und Mitarbeiter – es gibt kaum Kinderbetreuungseinrichtungen, die am Sonntag offen haben. Das ist ein Problem, wenn man bedenkt, dass 70 Prozent der im Handel Beschäftigten Frauen sind. Es gibt immer wieder Einzelfälle von Händlern, die am Sonntag aufsperren. Die Sonntagsöffnung ist derzeit vor allem in Wien ein Thema. Der Umsatz am Sonntag würde die Personalkosten und die zusätzlichen Kosten für die Händler aber nicht rechtfertigen.
<br style="font-style: italic;" /> Welche Umsatzerwartungen haben Sie für 2012 im Handel angesichts der sich eintrübenden Konjunkturaussichten?Lorentschitsch: Ob das nächste Jahr schwierig für den Handel wird, hängt von einigen Unsicherheitsfaktoren ab, unter anderem von der Entwicklung  der gesamtwirtschaftlichen Konjunktur. Ich hoffe, dass keine zusätzlichen Abgaben- und Steuererhöhungen kommen, denn das würde Unternehmer am Investieren hindern und die Kaufkraft der Konsumenten schwächen. Die Kollektivvertrags-Abschlüsse liegen über der Inflationsrate, also hoffe ich, dass die Krise nicht voll auf den Konsum durchschlagen wird. Ich gehe davon aus, dass der Umsatz im Handel wie schon in der letzten Wirtschaftskrise stabil bleibt. Der Konsum wird wohl auch bei einer schwächeren Konjunktur nicht maßgeblich nachgeben, da bin ich optimistisch.

Erwarten Sie Preiserhöhungen im kommenden Jahr? Der österreichische Handel wird ja immer von Verbraucherschützern dafür kritisiert, dass Produkte mehr als zum Beispiel in Deutschland kosten.René Tritscher: Es kann nicht sein, dass neue Steuern und Abgaben eingeführt werden und der Handel letztendlich als Buh-Mann dasteht, weil die Preise höher sind als etwa in Deutschland, wenn völlig andere Faktoren für die Preisbildung verantwortlich sind und am Ende des Tages eine Marge für den Händler übrig bleiben soll. Es werden immer wieder neue Belastungen von der Öffentlichen Hand erfunden, die in der Preiskalkulation im Handel Eingang finden müssen. Händler müssen die Vielzahl kleiner Abgaben, zum Beispiel die Erhöhung der U-Bahn-Steuer in Wien, mit einkalkulieren, ebenso wie die Lohnsteigerungen jedes Jahr. Der Druck auf die Händler steigt natürlich durch solche Abgaben. Es ist eine Illusion zu glauben, dass der Handel die Abgaben abfangen kann. Der Produktpreis ist auch ein Ergebnis der Vielzahl an Belastungen, die ein Händler tragen muss - wenn er sie überhaupt im Produktpreis unterbringt. Bei einem derartigen Wettbewerb wie beispielsweise im heimischen Lebensmittel- oder Drogeriehandel können Unternehmen gar nicht die Abgaben eins zu eins an Konsumenten weitergeben.
<br style="font-style: italic;" /> Haben Sie ein Rezept, um aussterbende Nebeneinkaufsstraßen und Ortskerne wiederzubeleben?Lorentschitsch: Der Trend geht derzeit zum Einkaufen in Einkaufszentren und großen Einkaufsstraßen. Wir werden alles dafür tun, dass klassische Nahversorger und kleine Geschäfte ebenfalls am Leben bleiben. Die Nahversorger tragen maßgeblich zur Lebensqualität der Menschen bei. Am Land sind die Postpartnerschaften ein gelungenes Beispiel dafür, wie man Nahversorger und kleine Geschäfte unterstützen kann. Mittlerweile gibt es 1270 Postpartner in ganz Österreich, und die Zahl nimmt weiterhin zu. Das ist ein erster Schritt in eine positive Richtung.

Tritscher: Man muss unkonventionelle Wege gehen wie beispielsweise bei der Postpartnerschaft. Der Händler stellt einen sozialen Marktplatz und Treffpunkt in  einer Gemeinde oder in Städten dar. Hier unterstützen wir Händler, neue Dienstleistungen anbieten zu können. Darüber hinaus gibt es sehr viele Initiativen der Einkaufsstraßen – nicht nur in Wien, sondern auch in vielen Bezirksstädten -  wo gemeinsames Marketing und gemeinsame Aktionen koordiniert werden. Wir glauben aber auch, dass man Rahmenbedingungen schaffen muss, dass es sich eben nicht rechnet, einfach ein Einkaufszentrum zu bauen, sondern dass man über die Gemeindegrenzen in der Lokalpolitik denkt. Wir schlagen den interkommunalen Finanzausgleich vor, sodass die Politiker nicht nur das Budget  ihrer Gemeinde sehen. Derzeit ist jeder Lokalpolitiker gezwungen, möglichst viel Verkaufsfläche in seiner Gemeinde zu schaffen, weil es Kommunalabgaben bringt und das Budget erhöht. Wir brauchen aber eine stärkere Zusammenarbeit über die Gemeinde- und Bezirksgrenzen hinaus. Sonst ist der Anreiz von Bürgermeistern gleich null, auf andere Gemeinden Rücksicht zu nehmen.

Lorentschitsch: Kommunalsteuern kommen der Gemeinde zugute. Die Gemeinde mit Einkaufszentrum profitiert sehr stark davon, während aus den anderen Gemeinden Kaufkraft und Arbeitskräfte abfließen. Derzeit wird nur eine Gemeinde für das Einkaufszentrum belohnt, obwohl Kaufkraft aus den anderen Gemeinden zufließt. Das würde durch den interkommunalen Finanzausgleich auf die einzelnen Gemeinden verteilt werden, und nicht ein Wettbewerb der Gemeinden um Einkaufszentren entstehen.

Die Wirtschaftskammer hat zuletzt die niedrigen Provisionen für Postpartner kritisiert. Was muss sich hier Ihrer Meinung nach ändern?Tritscher: Das derzeitige System sieht eine Basisvergütung mit einem Qualitätsbonus vor, der pro Jahr bis zu 3000 Euro betragen kann. Daneben gibt es Provisionen auf einzelne Produkte und Dienstleistungen, die verkauft werden. Das führt im Ergebnis derzeit zu einer unbefriedigenden Situation, weil sich die Postpartnerschaft für  sehr kleine Händler, die sehr geringe Umsätze haben, nicht rechnet. Händler, die zusätzliches Personal aufgrund der Postpartnerschaft angestellt haben, können diesen Personalaufwand durch die Provisionen kaum decken. Bei einem neuen System muss über die Höhe der Provisionen gesprochen werden. Unser Ziel ist, dass der Postpartner für Produkte mit mehr Aufwand auch mehr Provision bekommt. Es macht einen Unterschied, ob ein Brief oder eine Spezialsendung um 35 Euro aufgegeben wird. Wir sind derzeit in Verhandlungen mit der Post AG und guter Dinge, dass wir im ersten Quartal eine gemeinsame Lösung finden werden.

Glauben Sie, dass durch den zunehmenden Einkauf im Internet der Preiskampf im stationären Handel härter werden wird?<br style="font-weight: bold;" /> Lorentschitsch: Zwar wird mehr im Internet gekauft werden, aber auch der stationäre Handel wird sich weiterhin großer Beliebtheit erfreuen. Das Bedürfnis nach persönlicher Kommunikation kann der Internet-Handel nämlich nicht befriedigen. Der Konsument muss unterscheiden zwischen der Servicequalität, die die stationären Händler bieten, und den reinen Einkauf im Internet.

Frau Lorentschitsch, für welche Themen wollen Sie sich als neue Obfrau der Bundessparte Handel besonders engagieren?Lorentschitsch: Immer weniger Jugendliche entscheiden sich für eine Lehre. Daher ist es mir ein Anliegen, die Lehre im Handel attraktiver zu machen und das breite Spektrum der Lehrberufe im Handel aufzuzeigen. Es gibt viel mehr Lehrberufe als den klassischen Einzelhändler. Wir bringen uns in die Weiterentwicklung der Lehre ein und werden eine Imagebildung und -kampagne für die Lehre im Handel machen. Außerdem soll die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter sowie die Ausbildung der Ausbildner forciert werden. Wir möchten Händler beim Aufbau eines Internetauftritts oder Onlineshops unterstützen, sowie beim Umgang mit neuen Technologien wie beim Bezahlen mit dem Handy.

Bettina Lorentschitsch ist die neue Obfrau der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich. Die gebürtige Salzburgerin (Jahrgang 1968) folgt damit Fritz Aichinger nach, der als Klubchef der Wiener ÖVP in die Politik gewechselt ist. Lorentschitsch ist seit mehr als 20 Jahren im Handel, vor allem im Baustoffhandel, tätig. Lorentschitsch hat ein MBA-Studium in General Management am ifm in Salzburg absolviert sowie einen Abschluss an der Donau-Universität Krems.

René Tritscher ist seit Ende 2010 Geschäftsführer der Sparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich. Der gebürtige Steirer hat das Studium der Rechtswissenschaften sowie einen Post-Graduate Speziallehrgang für Europarecht abgeschlossen. Zuvor war er Geschäftsführer der Fachverbände Telekom und Rundfunk sowie Unternehmensberatung und Informationstechnologie (UBIT) in der Wirtschaftskammer.