In der Krise reagieren die Parteien aufgrund ihrer eigenen Krise mit dem Ruf nach noch mehr.
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Die türkis-grüne Bundesregierung steht mit dem Löschwagen für die Teuerungsfolgen bereit. Die Entlastung soll sich auf rund 4 Milliarden Euro summieren, der Großteil entfällt auf Pendler und die Senkung der Energieabgaben, Wirtschaft wie Gewerkschaften fordern deutlich mehr. Der Hinweis, dass das "Energiepaket" von ÖVP und Grünen sich ohnehin aus den zu erwartenden Mehreinnahmen des Staates finanziere, dürfte ihren Forderungen weiter Nachdruck verleihen. Gelernte Österreicher können also mit Nachbesserungen rechnen.
In Zeiten unvorhergesehener - und mitunter unvorhersehbarer - Not muss der Staat schnell handeln. So selbstverständlich das heute klingt, war das nicht immer Konsens. Für Konservative, Liberale und etliche Sozialdemokraten waren ausgeglichene Budgets über Jahrzehnte ein erstrebenswertes Ziel. Die Kaskade an Krisen und ökonomischen Turbulenzen der vergangenen 15 Jahre hat die einstige Orthodoxie zur Häresie reduziert. Investieren ist das neue Sparen.
An diesem Punkt wird es unübersichtlich. Und zwar politisch gewollt. Die Unterscheidung zwischen notwendigen Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Innovation, gebotener Unterstützung für besonders Betroffene und opportunen Gunsterweisungen wird von jeder Regierung verwischt. Die Hilfen in der Pandemie können als Musterbeispiel gelten.
Zweimal richtig und einmal falsch macht noch immer plus eins: Das liest sich dann in der Analyse als "vertretbarer Kompromiss". Einen schlechteren Vorwurf kann man Politik schwer machen, entspricht das doch ihrem Selbstverständnis (und dem Verständnis der meisten Menschen von Politik).
Allerdings stößt dieses "Business as usual" in ungewöhnlichen Zeiten an seine Grenzen. Die Folgen der Pandemie und die Notwendigkeit, Produktion und Konsum zu dekarbonisieren, bedeuten bereits zwei gleichzeitige Stresstests für die öffentlichen Finanzen. Mit der Rückkehr einer rasanten Inflation und den langfristigen Folgen eines Bruchs mit Russland kommt nun ein dritter hinzu, der ein weiteres entschlossenes Reagieren erfordert, um größeren Schaden abzuwehren.
Aufgrund ihrer eigenen Krise reagieren alle Parteien instinktiv mit Mehrforderungen. Wenn die ÖVP einmal der SPÖ vorwirft, "soziale Politik" sei für diese "ein Fremdwort", ist klar, wie die nächsten Wahlen geschlagen werden. Viele weitere Krisen in kurzer Zeit werden wir uns so nicht leisten können. Aber wahrscheinlich ist das Kalkül, wonach es die EZB richten wird, auch richtig. Die Spannung wie die Spannungen werden dann nicht weniger.