Als "richterlichen Willkommensgruß" an die neuen EU-Nachbarn bezeichnete Justizminister Dieter Böhmdorfer die Richterwoche, die gestern im burgenländischen Pamhagen begann. Die international besetzte Tagung steht heuer ganz im Zeichen der grenzüberschreitenden justiziellen Zusammenarbeit.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Seine Eröffnungsrede nützt der Justizminister dazu, auch kritische Bemerkungen zur EU-Osterweiterung anzubringen: Zwar handle es sich ohne Zweifel um das größte Projekt in der Geschichte der Europäischen Union, doch würden die Nettozahler in der Union kräftig zur Kasse gebeten. "70 Milliarden Euro soll die Erweiterung kosten und jeder weiß, dass auch das nicht reichen wird".
Übergangsfristen nützen
Als weitere Herausforderungen nannte Böhmdorfer Konkurrenzdruck für Klein- und Mittelbetriebe durch grenznahe Betriebe und das niedrigere Lohnniveau im Osten. Die Zukunft der heimischen Wirtschaft werde davon abhängen, wie die siebenjährigen Übergangsfristen etwa bei der Niederlassungsfreiheit genützt werden. In Österreich hätten 41 Prozent der Bevölkerung Bedenken wegen der EU-Erweiterung. Die österreichische Justiz müsse alles dazu tun, dass den Menschen die Sorgen wegen der EU-Erweiterung genommen und die Chancen genützt werden. "Wir haben hervorragend ausgebildete Richter und Anwälte", lobte der Minister. Auf dieser Grundlage ließen sich Verfahren beschleunigen und Österreich könne zum internationalen Schiedsgerichtsstandort ausgebaut werden. Als besondere Herausforderungen für die Justiz bezeichnete Böhmdorfer neue Kriminalitätsformen wie Schlepperwesen oder Drogenhandel, die sich nur in Zusammenarbeit mit den Nachbarländern wirksam bekämpfen ließen.
Tagungs-Organisatorin Constanze Kren vom Justizministerium unterstrich in ihren Begrüßungsworten die Bedeutung von direkten Fachkontakten zwischen Justizmitarbeitern der angrenzenden Regionen. Dass man mit den Kollegen im Osten bereits bekannt ist, erklärte Harald Krammer, Präsident des Wiener Oberlandesgerichts: "Seit einem Jahrzehnt bestehen schon die Kontakte - jetzt geht es darum, die Zusammenarbeit zu vertiefen." Neben hochrangigen Proponenten der heimischen Judikative, fanden sich auch zahlreiche Gäste aus Slowenien, Ungarn, der Slowakei, Tschechien und Deutschland ein - unter ihnen der ungarische Justizminister.
Staatsgewalten im Wanken?
Am Nachmittag referierte Botschafter Martin Sajdik zur Osterweiterung, skizzierte deren rechtliches Prozedere und die Auswirkungen auf die EU-Mitgliedstaaten. Zweite Vortragende war Bedanna Bapuly von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, die sich mit der Rolle der nationalen Gerichtsbarkeit bei der Anwendung von Gemeinschaftsrecht befasste. Bapuly sprach von einem "Loslassen müssen" der österreichischen Gerichte, was die strenge rechtspositivistische Auffassung angeht. Die Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werde immer wichtiger. Bapuly: "Letztendlich stellt sich wohl die Frage, ob der EU-Beitritt nicht sogar das Gleichgewicht der Staatsgewalten ins Wanken bringt".