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Kritisieren, aber nicht ausflippen

Von Engelbert Washietl

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Der politische Druck der EU auf die Regierung in Budapest, ihre Mediengesetze zu entgiften, zeigt Wirkung. Eine unsachliche Kampagne würde die Fronten verhärten.


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Die europäische Aufregung um die ungarische "Nationale Medien- und Informations-Kommunikationsbehörde" (NMHH) ist groß. Das wertvolle Gut Pressefreiheit darf ja wirklich nicht nach dem Emmentaler-Prinzip auf die 27 Mitglieder der europäischen Gemeinschaft verteilt werden, so dass jeder Staat für sich entscheidet, wo Grundrechte gewahrt werden und wo Luftpolster auch genügen.

Außerdem hat die Regierung Viktor Orban erstaunlich viel unternommen, um Partnerstaaten und sogar unmittelbare Nachbarn wie die Slowakei in Unruhe zu versetzen. Der selbstbewusste Premierminister kann sich also nicht wundern, dass der Start des

ungarischen EU-Vorsitzes mit einem Griff ins Wespennest einhergeht. Orban scheint begriffen zu haben, dass die Zensurbehörde NMHH in eine juristisch einwandfreie mediale Behörde zurückgebaut werden sollte, die nach definierten Vorgaben das tut, was ähnliche Behörden in anderen EU-Staaten ebenfalls tun: ein Ordnungssystem zu schaffen, das allen Beteiligten Entfaltung ermöglicht, aber zerstörenden Wildwuchs verhindert.

Allerdings muss die EU-Kommission darauf gefasst sein, dass Orban und seine Leute auf der EU-Bühne auch Dinge ansprechen werden, die manchen Staaten wenig angenehm sind.

In Italien wird seit Jahren und mit Erfolg ein umfassendes System politisch-medialer Dominanz der Informationskanäle und der Bürger aus einer einzigen Richtung aufgezogen, nämlich der des Medien-Tycoons Silvio Berlusconi. In dem Filz ist kein Platz mehr für Gewaltentrennung. Wo die Justiz eingreifen sollte, wird rechtzeitig ein Verfassungsgesetz vorgeschaltet, das ihr den Weg abschneidet. Es ist aber nicht bekannt, dass die EU jemals ernsthaft tätig geworden wäre, um die europäischen Grundrechte auch zwischen Tarvis und Sizilien zu verteidigen. Es würde sich auch schwer behaupten lassen, dass das französische Präsidialsystem ein Paradies der Pressefreiheit geschaffen habe.

In der EU wird mit unterschiedlichem Maß gemessen, wenn es gilt, Sünder namhaft zu machen. Das spricht zwar die Regierung Orban nicht frei, wenn sie sich in einen reglemetarischen Despotismus verirrt, aber die bisher oberflächlich und pauschal vorgebrachten Anschuldigungen bedürfen einer Versachlichung. Zudem gibt es für jede Art von Übergriff einen funktionierenden Instanzenweg: in der EU den Europäischen Gerichtshof, beim Europarat die Menschenrechtskommission.

Noch verfügt die EU-Kommission, von der der luxemburgische Außenminister ein "rasches Eingreifen" in Budapest verlangt, über keine Eingreiftruppe, und niemand würde sie ernsthaft wünschen.

Ist es gleich Zensur, wenn die NMHH ein Verfahren gegen das kleine Privatradio Tilos Radio wegen Jugendgefährdung einleitet? Das ist sachlich zu prüfen. Das österreichische Rundfunkgesetz setzt nicht nur dem öffentlich-rechtlichen ORF, sondern auch den privaten Radio- und TV-Veranstaltern drei Paragrafen zum "Schutz der Minderjährigen" vor. Die Paragrafen 30 und 31 postulieren Programmgrundsätze bis hin zur Objektivität und Meinungsvielfalt.

Die EU wird also Fakten prüfen müssen, sonst läuft sie am Ende und nicht zum ersten Mal Gefahr, einen verschämten Rückzug antreten zu müssen. Und sie sollte bei der Beobachtung von 27 Mitgliedstaaten nicht schielen.

Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".