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Kroatien: Opposition hofft auf Domino-Effekt

Von Carsten Hoffmann

Politik

Zagreb/Belgrad/Sarajewo · Der Sieg der Mitte-Links-Koalition in Kroatien löst bei den anderen Machthabern auf dem Balkan keine rechte Freude aus. Betretenes Schweigen ist die Reaktion des | Regimes in Belgrad. Der Feind seit Kriegszeiten, die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) des verstorbenen Präsidenten Franjo Tudjman, wird ungewöhnlich geschont.


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"Uns gehen die kroatischen Wahlen nichts an", lautet der Kommentar des jugoslawischen Bundesinformationsministers Goran Matic in der Zeitung "Glas javnosti". Und die sonst um Meinungen nicht

verlegene Belgrader Regierungszeitung "Politika" schreibt unter kleiner Überschrift auf Seite 7 "Sieg der Links-Koalition". Ansonsten gilt: Kein Kommentar.

Der frische Wind aus Kroatien kommt ungelegen. Warum, zeigt die andauernde Freude dort. "Triumph der Bürger Kroatiens", titelt die kroatische Wochenzeitung "Nacional". "Kroatien hat sich gegen

die Tyrannei der HDZ, gegen Räuberei, Korruption und die Lügen der Regierung erhoben."

Das Ausland · beim Tode Tudjmans noch auf Distanz · reicht dem lange isolierten Kroatien jetzt die Hand. Westliche Politiker und Kommentatoren würdigen die Befreiung aus dem Griff des Nationalismus

als "demokratische Reife". Der für die Erweiterung zuständige EU- Kommissar Günter Verheugen hatte Kroatien schon kurz vor der Wahl als wahrscheinlich 14. Beitrittskandidaten benannt.

Die reformorientierte jugoslawische Teilrepublik Montenegro begrüßt den Wechsel. "Das ist eine Warnung an Belgrad, das als einzige Bastion übrig geblieben ist, wo ein autokratisches, mit der Welt

verfeindetes Regime regiert", sagt Miodrag Vukovic, Mitglied der Führung in Podgorica.

In Belgrad sehnen die wichtigsten Oppositionsparteien jetzt einen Domino-Effekt herbei. Vladan Batic, Koordinator der Allianz für den Wandel: "Wir hoffen, dass das Echo der Veränderungen in Kroatien

auch Serbien und andere ex-jugoslawische Staaten erfasst."

Der Blick richtet sich zunächst nach Bosnien-Herzegowina, wo sich drei nationalistische Parteien von Moslems, Serben und Kroaten gegenseitig blockieren. Darunter ist auch der Ableger der am Montag in

Zagreb von der Macht abgewählten kroatischen HDZ. In Bosnien hat das Ausland seit dem Friedensabkommen Milliarden-Summen ohne grundlegende Erfolge investiert; jetzt könnte der Weg für einen Wandel

frei werden.

Die Politiker der bosnisch-moslemischen Bevölkerungsmehrheit sehen eine neue Grundlage für bessere Beziehungen zu Kroatien. Die Niederlage in Zagreb werde direkte Auswirkungen auf die bosnischen

Kroaten haben, heißt es in Sarajewo.

Die moslemische Regierungspartei SDA fußt jedoch selbst im ethnischen Nationalismus und regiert · kaum anders als die HDZ · mit einem Pfründensystem, das in regelmäßigen Abständen durch

Korruptionsskandale erschüttert wird. So fordert die SDA-nahe Zeitung "Dnevni Avaz" die Moslem-Partei auf, die Wahl in Kroatien als Denkanstoß zu sehen. "Wenn die SDA nicht darüber nachdenkt

und Antworten auf Wirtschaftsfragen gibt, wird sie wie die HDZ enden", schreibt das Hausblatt des Moslem-Führers Alija Izetbegovic.

Der Vorsitzende der bosnischen Sozialdemokraten, Zlatko Lagumdzija, fordert ein verändertes "Machtkonzept" in Bosnien.

Er sagt: "Wann das nicht geschieht, wird Bosnien zusammen mit Serbien eine isolierte Insel auf dem Balkan sein."