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Kroatien rätselt über künftigen Kurs - Bahn frei für Tudjmans alte Garde?

Von Christian Wehrschütz

Analysen

In Kroatien platzte eine politische Bombe: Offenbar auch für einige Minister und seine engste Umgebung überraschend erklärte der konservative Ministerpräsident Ivo Sanader am Mittwoch seinen Rücktritt. Sanader nannte ausschließlich persönliche Gründe - Krankheit oder eine neue Funktion in einer internationalen Institution schloss er ebenso aus wie eine Kandidatur bei der kroatischen Präsidentenwahl im Spätherbst dieses Jahres. | Diese dürftige Begründung seines Abgangs hat zwangsläufig zu vielfältigen Spekulationen über den Rücktritt geführt. Sie reichen von mafiösem Druck aus der Unterwelt, von den Problemen mit der EU über die Wirtschaftskrise bis hin zu einem Putsch nationalistischer Kader innerhalb der eigenen Partei HDZ.


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Die Schlagzeilen der zwei führenden Tageszeitungen spiegeln dabei die Bandbreite der Gefühle wieder. So titelt Jutarnji List "Mit Gott oder Auf Wiedersehen"; denn Sanader hat eine Rückkehr in die Politik zu einem späteren Zeitpunkt nicht ausgeschlossen. Das Blatt sieht jedenfalls Sanaders Versuche als gescheitert an, die eigene Partei umfassend zu reformieren und zu mäßigen.

Künftig würden Politiker eine weit stärkere Rolle spielen, die in der Ära des nationalistischen Staatsgründers Franjo Tudjman dessen enge Gefolgsleute waren. Berechtigt sind auch die Zweifel, dass Sanaders bisherige Stellvertreterin, Jardanka Kosor, der Herausforderung gewachsen sein könnte, welche die Ämter des Ministerpräsidenten und Parteichefs mit sich bringen; in der Partei ist sie nicht wirklich verankert.

Kritisch bewertet die konservative und vielfach Sanader-freundliche Tageszeitung Vecernji List den Rücktritt: "Er ließ uns zurück mit einer Rekordverschuldung, der schmerzlichsten Welle der Krise und der slowenischen Erpressung." Sicher ist, dass Kroatien sehr schwierige wirtschaftliche Zeiten bevorstehen, die ohne eine Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds nicht zu meistern sein werden. Auch der Tourismus dürfte beträchtliche Einbrüche erleben; daher ist Ivo Sanader zweifellos zu einem Zeitpunkt abgetreten, zu dem er noch als jener Politiker gelten kann, der Kroatien in die Nato geführt hat. Seine Versäumnisse bei der Reform von Wirtschaft und Verwaltung werden schon bald schonungslos zutage treten; hinzu kommt, dass das veranschlagte Budgetdefizit nicht zu halten sein wird.

Sicher ist wohl, dass Sanader nicht zurückgetreten wäre, hätte er noch die Chance auf einen raschen EU-Beitritt Kroatiens gesehen. Dieser Beitritt war sein zentrales politisches Ziel, das wegen des Grenzstreits mit Slowenien aber in weite Ferne gerückt ist.

Das verunsicherte Land rätselt nun über den künftigen Kurs, der gerade für Österreich - größter Investor und großer Kreditgeber - von Bedeutung ist.