Da haben wir sie wieder, die Erweiterungsdebatte. Zwar haben die Iren nicht darüber abgestimmt, ob es weitere Beitritte zur Europäischen Union geben soll oder nicht. Doch beim EU-Gipfel nahm der französische Präsident Nicolas Sarkozy gerade die irische Ablehnung des EU-Reformvertrags zum Vorwand, um die Aufnahme neuer Mitglieder in Frage zu stellen. | Ohne Vertrag von Lissabon keine Erweiterung, befand Sarkozy. Er erwähnte nicht, dass eine EU-Mitgliedschaft sowohl Kroatiens als auch der Türkei laut derzeit geltenden Regeln ebenso möglich wäre.
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Um die Türkei geht es nämlich im Grunde. Das Land mit seinen 72 Millionen Einwohnern eignet sich vor allem in Westeuropa als Schreckgespenst für Erweiterungsskeptiker und jene Politiker, die diese Skepsis schüren. Zu groß, zu arm, zu anders sei die Türkei, um in die EU zu passen. Die Argumentation fällt in Österreich auf fruchtbaren Boden: Acht von zehn Menschen lehnen die Mitgliedschaft der Türkei ab.
Nicht, dass frühere Erweiterungen auf Begeisterung gestoßen wären. Die Befürchtungen, Ausländer würden in Scharen kommen und den Inländern ihre Jobs wegnehmen, gab es 2004, als acht osteuropäische Staaten Mitglieder der Union wurden. Und bis heute dürfen die neuen EU-Bürger nicht uneingeschränkt in Österreich arbeiten.
Aus dieser Sicht müsste Wien froh über den Vorstoß aus Paris sein. So braucht Österreich - das den Beginn von EU-Verhandlungen mit der Türkei im Oktober 2005 stundenlang hinausgezögert hat - nicht als Blockierer dazustehen.
Doch es kam anders. Außenministerin Ursula Plassnik war "beunruhigt" über die neue Erweiterungsdebatte. Die EU sollte ihre bisherigen Beschlüsse ernstnehmen. Das ist kein österreichisches Paradoxon - und irgendwie doch. Denn so groß die Ablehnung der Türkei ist, so stark ist die Unterstützung für Kroatien. Mehr als die Hälfte der Österreicher wollen das Land in der EU.
Sarkozy hat dennoch Recht, auch wenn er etwas völlig anderes meint. Mit der Mutlosigkeit, die europäische Politiker immer wieder an den Tag legen, sind weitere Beitritte tatsächlich kaum denkbar. Die Staats- und Regierungschefs schaffen es nicht, sich auf eine weitere Vorgangsweise beim EU-Vertrag zu einigen, die Strukturen der EU zu erneuern. Und sie schaffen es nicht, in ihren eigenen Ländern die europäischen Interessen in den Vordergrund zu rücken.
Stattdessen wird über Kerneuropa oder ein Europa der zwei Geschwindigkeiten diskutiert - ein Europa, das es längst gibt. Nicht alle Länder haben den Euro, nicht alle sind in der Schengen-Zone oder der Nato, die ärmsten Regionen in Rumänien werden noch an die 50 Jahre brauchen, um den EU-Wohlstands-Durchschnitt zu erreichen. All das bleibt in den fruchtlosen Debatten aber unberücksichtigt.
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