Kartellpraktiken sind Absprachen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehr Wettbewerbern zwecks Abstimmung ihres Wettbewerbsverhaltens am Markt. Sie zählen zu den schwersten Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht in der Gemeinschaft. Da solche Kartellabsprachen geheim sind, ist ihre Aufdeckung und Untersuchung ohne die Mitwirkung von daran beteiligten Unternehmen oder Einzelpersonen häufig äußerst schwierig.
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Es lag daher im Interesse der EU, eine sogenannte "Kronzeugenregelung" einzuführen und den kooperationsbereiten Unternehmen als Gegenleistung den Entfall oder die Minderung der vorgesehenen Sanktion anzubieten, die sie ansonsten - bei Aufdeckung des Kartells - getroffen hätte.
Im Februar 2002 legte die Kommission ihre erste Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen vor, in der sie eine solche Kronzeugenregelung verankerte. Im Rahmen dieser Regelung kann die Kommission die Geldbuße, die gegen ein Kartellmitglied verhängt würde, als Gegenleistung für die Offenlegung von Informationen über das Kartell und für die Mitwirkung an den Ermittlungen entweder vollständig erlassen oder ermäßigen. Die Kronzeugenregelung wurde in den letzten vier Jahren mehrfach verbessert, um Kronzeugen besser anzuleiten und das Verfahren transparenter zu machen.
Neufassung der Regel
Am 7. Dezember 2006 legte die Kommission eine Neufassung der Kronzeugenregelung vor, die mit ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU (ABl 2006, C 298/17) einen Tag später in Kraft getreten ist. Die neue Kronzeugenregelung ist mit dem Kronzeugenmodell des "Europäischen Wettbewerbsnetzes" abgestimmt. Dieses Netz besteht aus der Europäischen Kommission und den Wettbewerbsbehörden der 27 Mitgliedstaaten, von denen 21 auch nationale Kronzeugenregelungen für Kartellverstöße haben.
In der Neufassung wurde vor allem präzisiert, welche Informationen ein Kronzeuge der Kommission vorlegen muss, damit ihm die Geldbuße erlassen wird. Außerdem wurde ein sogenanntes "Markersystem" für Kronzeugen eingeführt, das ein Unternehmen für den Zeitraum vor dem Zugriff der Kommission schützen soll, in dem es seine Beweismittel vervollständigt.
Ferner werden die Voraussetzungen für den Erlass und die Ermäßigung der Geldbußen klar dargelegt und die Erklärungen von Unternehmen, die im Rahmen der Kronzeugenregelung abgegeben werden, vor ihrer Offenlegung gegenüber Parteien in zivilrechtlichen Schadensersatzverfahren geschützt.
Damit die Geldbuße erlassen wird, muss das Unternehmen Beweismittel vorlegen, die der Kommission ermöglichen, gezielte Nachprüfungen eines mutmaßlichen Kartells durchzuführen oder im Zusammenhang damit eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 EG-Vertrag festzustellen. Als Informationsbeziehungsweise Beweismittel dient eine Unternehmenserklärung, die die inkriminierten Praktiken genau beschreibt. Wird das Kartellverfahren daraufhin von der Kommission eingeleitet, muss das Unternehmen mit der Kommission in vollem Umfang kooperieren.
Damit die Geldbuße erlassen wird, kann das Unternehmen entweder einen "Marker" beantragen oder sofort einen Antrag auf Nachlass der Buße stellen. Der Marker schützt den Rang des antragstellenden Unternehmens für einen gewissen Zeitraum, der diesem gewährt wird, um seine belastenden Beweismittel zu vervollständigen. Liefert ein Unternehmen nur solche Informationen, die keine völlige Offenlegung des Kartells ermöglichen, wird die Buße bloß ermäßigt, wenn die Beweise für die Kommission einen erheblichen "Mehrwert" besitzen.