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Kronzeugenregelung in Österreich: Wirklich der Weisheit letzter Schluss?

Von Elisabeth Donnaberger

Politik

Der angebliche Drogendealer Michel Kabongo alias Aba Fofana aus Kongo-Brazzaville sitzt seit dem 22. Oktober 1999 im Wiener Landesgericht, angeklagt des Verkaufs von mindestens 1,5 kg Kokain und Heroin, verurteilt ohne Beweise - einzig auf die Aussage eines anonymen und maskierten Zeugen aus der Drogenszene hin. Gleich nach dem erstinstanzlichen Urteil am 15. Dezember 1999, das auf schuldig und vier Jahre Haft lautete, legte Kabongo Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil ein, zugleich legte der Staatsanwalt Berufung gegen das Strafausmaß ein, weil ihm dieses zu milde erschien (die "Wiener Zeitung" berichtete). Jetzt wurde die Haftstrafe von vier auf fünf Jahre erhöht.


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Das angeblich begangene Verbrechen war für das Wiener Oberlandesgericht so schwer wiegend, dass ihm die Erhöhung der ursprünglich verhängten Strafe angebracht erschien.

Die Nichtigkeitsbeschwerde, die die Beweisführung des Gerichts in Frage stellte, war bereits am 30. März ohne öffentliche Verhandlung abgelehnt worden. Damit war die Schuld von Michel Kabongo für die österreichische Justiz fest geschrieben.

Nun soll hier nicht das Problem, das Drogen für unsere Jugend darstellen können, verharmlost werden; um es in den Griff zu bekommen, sind alle sinnvollen und zielführenden Anstrengungen angebracht. Aber was in diesem speziellen Fall geschehen ist, ist keines von beiden.

Es ging dem Gericht offenbar gar nicht darum, die Wahrheit über Schuld oder Unschuld herauszufinden. Dafür ist die in diesem und vielen anderen ähnlichen Fällen zu Hilfe genommene "kleine Kronzeugenregelung" in Verbindung mit Anonymisierung des Zeugen in der verwendeten Form ungeeignet.

Es gibt sehr genaue und ausführliche Richtlinien des europäischen Ministerkomitees, die die gemeinsame Überzeugung der Mitgliedstaaten des Europarates zum Ausdruck bringen: danach haben die Strafverfolgungs- und Anklagebehörden zu verhindern, "eine Anklage ausschließlich oder hauptsächlich auf eine einzige belastende Aussage eines solchen Zeugen abzustützen".

Genau das ist aber in diesem Fall geschehen: da das Gericht gegen Michel Kabongo keinerlei Beweise vorlegte bzw. vorlegen konnte, steht die Aussage des Angeklagten gegen die Aussage des anonymen Zeugen, der, weil er aus der Drogenszene stammt, für die Justiz offensichtlich besonders glaubwürdig ist: In der Urteilsbegründung (Landesgericht für Strafsachen Wien 6c Vr 9123/99, Hv 5709/99) heisst es wörtlich: "Die Angaben dieses Zeugen gewinnen insoweit besondere Bedeutung und Glaubwürdigkeit, als dieser selbst im schwarzafrikanischen Drogenhändlermilieu tätig war und selbst Verkäufe durchführte."

Weder die besagten Drogen (Kokain und Heroin) noch Geldmengen aus dem angeblichen Handel mit diesen wurden bei Michel Kabongo je sichergestellt. Auch Namen von vermeintlichen Käufern oder Verkäufern konnte das Gericht keine nennen.

Die angegebene Menge von je 750 g Heroin und Kokain, die der 20-Jährige verkauft haben soll, setzt sich aus Hochrechnungen von Angaben des Zeugen und der "forensischen Erfahrung im Straßenhandel von Schwarzafrikanern" (Zitat aus der Urteilsbegründung) zusammen.

Als Motiv für die illegalen Transaktionen führt das Gericht das "relativ geringfügige Einkommen" des mittlerweile Verurteilten an. Beweisanträge der Verteidigung, Zeugen zu laden, die bestätigen könnten, dass sich der Kongolese mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt, wurden vom Gericht als "aus rechtlichen Erwägungen entbehrlich" abgewiesen.

Scheinerfolge gegen Drogen

Wenn man dann aus dem Mund des Staatsanwaltes als Begründung für die Erhöhung der Haftstrafe hört, daß "die schwarzafrikanischen Dealer überhand nehmen und den Suchtgiftmarkt in Österreich kontrollieren", erkennt man das bekannte Klischee "Afrikaner ist gleich Drogendealer", dem bedenkenlos auch eine menschliche Existenz für einen Scheinerfolg im Drogenkampf geopfert wird.

So bleibt nur noch zu hoffen, daß der Fall neu aufgerollt wird. In Österreich ist der Instanzenweg ausgeschöpft, nur neue Beweise oder der Europäische Menschenrechtsgerichtshof könnten eine Neuaufnahme erzwingen. Wenn das gelingt und der Fall Michel Kabongo wie auch andere Fälle ohne Einbeziehung von Zeugen der Art des "AZ 1" unter Verwendung echter Beweise neu aufgerollt werden, dann würden die Ergebnisse anders aussehen.

Elisabeth Donnaberger ist ehrenamtliche Mitarbeiterin der Organisation "Häfn human". Diese betreut Häftlinge, die aus psychischen, gesundheitlichen oder sozialen Gründen Hilfe suchen.