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Kröten im Pool -Käfer im Bett -Prozess am Hals

Von Matthias G. Bernold

Wirtschaft

Nicht immer bringt die schönste Zeit im Jahr die gewünschte Erholung. Was aber kann man tun, wenn die Hochglanz-Fotos in den Reisekatalogen nicht der Realität entsprechen? Wenn das Bier warm, die Bettwäsche schmutzig ist und sich unterm Bett die Kakerlaken tummeln? Und inwieweit lohnt es sich, mit Schadenersatzansprüchen vor den Richter zu ziehen?


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Wenn weißer Sandstrand, azurblaues Meer und grellbunte Sonnenschirme im Reisekatalog Urlaubsstimmung auslösen und Vorfreude die Wahrnehmung trübt, wird vielfach der Grundstein für spätere Rechtsstreitigkeiten gelegt, weiß Reiserechtsexperte Gerhard Saria. "Oft lesen die Kunden den Katalog nicht genau, oder sie verstehen ihn falsch", erklärt Saria, der an der Universität Wien und an der Fachhochschule Wiener Neustadt unterrichtet: ",Meerseitig' zum Beispiel bedeutet noch nicht, dass das Zimmer über Meerblick verfügen muss." Vom Ausdruck "Strand in der Nähe" seien unter Umständen Entfernungen von bis zu 500 Meter umfasst. "Und wenn im Katalog ,oberhalb des Strandes' steht, heißt das, dass man zum Strand auch hinunter gehen muss", schmunzelt der Experte.

Rügeobliegenheit

Wenn Mängel auftreten, ist es wichtig, sich gleich vor Ort zu beschweren, empfiehlt Peter Kolba vom Verein für Konsumenteninformation. Zwar ist unter Juristen strittig, ob eine sogenannte Rügeobliegenheit des Gastes besteht (d. h. Ansprüche des Reisenden verloren gehen, wenn er den Mangel nicht gleich an Ort und Stelle rügt). Still zu leiden sei jedoch in keinem Fall eine Lösung. "Wenn der Missstand trotz Rüge nicht behoben wurde, sollte man damit beginnen, Beweise zu sichern", empfiehlt der Konsumentenschützer. Um die Höhe eines Anspruchs abzuschätzen, lohnt sich ein Blick in die "Frankfurter Tabelle", einer Orientierungshilfe für die Höhe der Preisminderungen. Kolba: "Bevor es zum Prozess kommt, bieten viele Reiseveranstalter Kulanzlösungen - meist in Form von Gutscheinen oder Bargeldabfindungen - an." Diese lägen allerdings regelmäßig unter den in der Tabelle angeführten Werten.

Trotzdem kann es sinnvoll sein, sich mit dem vom Reiseveranstalter Angebotenen zu begnügen: "Das ökonomische Risiko eines Prozesses wegen eines Reisemangels ist hoch", sind sich Saria und Kolba einig. Rentieren würde sich ein Verfahren im Normalfall nur für Personen mit Rechtsschutzversicherung. Weil Ansprüche gegenüber Reiseveranstaltern oft schwer durchsetzbar sind, führt der VKI Musterprozesse. Schon in den nächsten Tagen soll namens einiger Österreicher eine Sammelklage eingebracht werden, die im Rahmen eines Türkei-Club-Urlaubs nach dem Essen Brechdurchfall erlitten hatten.

Wann liegt ein Mangel vor?

Ein Reisemangel liegt vor, wenn zugesagte oder gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaften fehlen. Die Judikatur dazu ist überaus facettenreich. So besteht ein Mangel etwa dann, wenn sich am Abend im Schwimmbadbereich Kröten aufhalten, "welche auch im Schwimmbecken schwammen", weil dadurch für viele Menschen eine "Beeinträchtigung im Sinne einer Ekelerregung" entsteht. Als Mangel, der eine Preisreduktion von 40 Prozent rechtfertigt, wurde im Einzelfall auch Fluglärm gesehen, als vom 100 Meter entfernten Stadtflughafen im 5-Minuten-Takt Flugbewegungen stattfanden. Sind servierte "Fleischspeisen wiederholt innen roh und blutig" oder befindet sich ein "1,5 cm langer Plastik-Splitter im Speiseeis" mindert dies den Preis um 15 Prozent. Keine Mängel sind das "Tragen von Plastikarmbändern im All-Inclusive-Club", die "Pflicht zum Tragen langer Hosen im Speisesaal" oder "Kakerlaken in einem Ausmaß von bis zu 20 Stück in einem südlichen Land".

Grundsätzlich werde jemand, der in ein südliches Land fährt, gewisse Abstriche in Kauf nehmen müssen, glaubt Saria: "Es ist eben so: In den Tropen gibt's Viecher." Auch beim Lärm muss grundsätzlich ein ortsüblicher Maßstab angelegt werden. Saria: "Türenknallen und lautes Lachen bis spät in die Nacht gehören im Süden meist dazu."

Entgangene Urlaubsfreude

Strittig in Österreich: Inwieweit auch ideelle Schäden einklagbar sind. Seit dem EuGH-Urteil TUI gegen Leitner besteht kein Zweifel, dass grundsätzlich ein Anspruch auf "Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreude" bestehen kann. Allerdings existiert in Österreich ein West-Ost-Gefälle. Während das Landesgericht Linz erkennt, dass die entgangene Urlaubsfreude bereits bei leichter Fahrlässigkeit des Reiseveranstalters zu ersetzen ist, muss für die zuständigen Richter am Wiener Handelsgericht Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit im Spiel sein. "Ohne entsprechendes Gesetz bleibt Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreude ein Rechtsabenteuer", kritisiert Rechtsanwältin Ingrid Bläumauer: "Derzeit ist unklar, wie verdorben der Urlaub sein muss, damit so ein Schadenersatz geltend gemacht werden kann." Momentan werde man in Wien nicht sehr weit kommen, wenn man ideellen Schadenersatz begehrt, stellt Saria fest, der hofft, dass eine Novellierung der EU-Richtlinie zum Pauschalreiserecht in Bälde Rechtsvereinheitlichung bringt.

Terror und SARS

Ein immer wieder kehrendes Problem sind in den Urlaubsländern auftretende Krisen und Krankheiten. Ob die Stornierung einer Reise wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zulässig ist, versuchte der OGH anhand einiger Kriterien festzumachen: Während etwa vereinzelte Terroranschläge zum "allgemeinen Lebensrisiko" zählen, fällt die Geschäftsgrundlage weg, wenn "Anschläge gezielt gegen Tourismusziele durchgeführt werden". Reisewarnungen des Außenamtes stellen jedenfalls einen Grund zum kostenlosen Rücktritt dar. "Eine allgemeine Angst genügt nicht", erklärt Saria, es hänge auch davon ab, ob es sich um eine Erholungs- oder Forschungsreise handelt, ob Kinder mit dabei sind u. ä.

Grundsätzlich geht der OGH von einem Vorrang der Vertrags-Anpassung aus, d. h., dass Reisende bei Zumutbarkeit die Umbuchung der Reise auf ein anderes Reiseziel bei gleichem Preis und Leistung akzeptieren müssen.

Frankfurter Tabelle (Auszug)

Diese Tabelle über Reisemängel wurde von der 24. Zivilkammer des LG Frankurt/M erstellt. Die Prozentsätze sollen eine Orientierungshilfe für Preisminderungen sein. Trotz unterschiedlicher Rechtsgrundlage urteilen auch österreichische Gerichte ähnlich. Garantien dafür, dass die Gerichte gemäß dieser Tabelle urteilen, gibt es freilich keine - die Richter entscheiden nach freiem Ermessen.

I. Unterkunft

1. Abweichende örtliche Lage (Strandentfernung) 5-15 Prozent

2. Abweichende Art der Unterbringung im gebuchten Hotel (Hotel statt Bungalow, abweichendes Stockwerk) 5-10 Prozent

3. Mängel in der Zimmer-Ausstattung (WC, Balkon, Bad, TV fehlen trotz Zusage) 5 bis 20 Prozent

4. Schäden, Ungeziefer im Zimmer 10 bis 50 Prozent

5. Ausfall von Versorgungseinrichtungen (WC, Aufzug, Wasser, Klimaanlage) 10 bis 20 Prozent

6. Lärm am Tage 5 bis 25, Lärm in der Nacht 10 bis 40 Prozent

II. Verpflegung

1. Ausfall: 50 Prozent

2. eintönige Speisekarte, nicht genügend warme Speisen, verdorbene Speisen bis zu 30 Prozent

3. lange Wartezeiten, Essen in Schichten, schmutzige Tische, Geschirr: 5 bis 15 Prozent

III. Sonstiges

1. Fehlender/ verschmutzter Swimmingpool 10 bis 20 Prozent

2. Fehlende Kinderbetreuung 5 bis 10 Prozent bei Zusage

3. Unmöglichkeit des Badens im Meer 10 bis 20 Prozent je nach Prospektbeschreibung und Ausweichmöglichkeit

4. Verschmutzter Strand 10 bis 20 Prozent

5. Fehlende Reiseleistung: Je nach Art der Reise (Besichtigung oder Studienreise) 0 bis 30 Prozent

IV. Transport

1. Zeitlich verschobener Abflug über vier Stunden hinaus 5 Prozent des anteiligen Reisepreises für einen Tag für jede weitere Stunde

2. Fehlender Transfer vom Flugplatz (Bahnhof) zum Hotel Kosten des Ersatztransportmittels

Bücher zum Reiserecht

Gerhard Saria (Hg.): Wer hat Recht im Urlaub, Gerichtspraxis und aktueller Reformbedarf im Reiserecht; Neuer Wissenschaftlicher Verlag 2002; 273 S.; ISBN 3-7083-0086-6

Peter Kolba, Peter Resetarits: Mein großer Rechtsberater; Linde Verlag 2003; 29 Euro; 776 S.; ISBN 3-7093-0429-6

Bläumauer: Reiserecht; Orac 2002; Wien 2000; 184 S; 28,34 Euro; ISBN: 3-7007-1801-2