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"Krumme Dinge" im Krieg um die Spreewald-Gurke

Von Franz Nickel, Berlin

Politik

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Man kann ohne Übertreibung sagen: Was dem Österreicher seine Sachertorte oder Mozartkugel, ist dem Ostdeutschen seine Spreewaldgurke. Und um die ist nach der "Wende" ein regelrechter

gesamtdeutscher Krieg entbrannt, der streckenweise zur Provinzposse ausuferte.

Im Spreewald, der einzigartigen Spreeniederung etwa 100 Kilometer südöstlich von Berlin, die von hunderten Flußarmen und künstlich angelegten Kanälen durchzogen ist, werden seit dem 16. Jahrhundert

Gurken angebaut, und seit den 30er Jahren wird die sterilisierte Gewürzgurke als Konserve produziert. In DDR-Zeiten trotz 8.000 Tonnen Jahresproduktion oft nur als "Bückware" zu erhalten, erlebte die

Spreewaldgurke nach 1990 einen kolossalen Aufschwung. Alteingesessene Spreewaldbauern übernahmen von der Treuhand ehemals volkseigene Betriebe, investierten und modernisierten auf neuen technischen

Stand. Auf 450 Hektar wachsen heute Spreewaldgurken und vergangenes Jahr wurden 50 Millionen Gläser in 20 verschiedenen Variationen nach wohlgehüteten Originalrezepten unter Verwendung heimischer

Kräuter gefüllt.

Schnell eroberten die wohlschmeckenden "krummen Dinger" ganz Deutschland, und selbst in den USA, Kanada und Asien sind sie bekannt geworden. So bekannt, daß zahlreiche Konservenfabriken in den alten

Bundesländern als Trittbrettfahrer dazu übergingen, ihre fränkischen, bayerischen und niedersächsischen Gurken als echte Spreewälder auf den Markt zu werfen.

So auch die Hamburger Konservenfabrik Schröder KG, für die die Jüteboger Konservenfabrik "Jütro", 18 km außerhalb des Spreewaldes gelegen, fleißig unechte Spreewaldgurken produzierte. Als dem ein

Riegel vorgeschoben wurde, klagten sie gegen die größte Konservenfabrik des Spreewaldes in Golßen, die zurecht Spreewaldgurke auf ihren Etiketten stehen hat, nach dem Motto: Wenn wir nicht dürfen,

sollen die auch nicht dürfen.

Hier beginnt der eigentliche Skandal: Das Landgericht in Hamburg, fern des Spreewaldes, zog im Sommer 1998 die Grenzen des Spreewaldes neu, wonach künftig zum Spreewald nur noch dessen Kern, die

sogenannte Kahnfarregion gehöre. Damit würde auch dem Golßener Spreewaldhof verboten sein, den Markennamen zu führen. Der gesamte Unterspreewald sowie mehrere Städte mit hundertjähriger

Spreewaldtradition sollen ausgeklammert werden.

Ein Aufschrei ging durch die ganze Region. Kopfschüttelnd vernahmen die Spreewälder diese richterliche Provinzposse, die zu einem 50prozentigen Rückgang der Produktion von Spreewaldgurken führen

würde. Widerspruch ist eingelegt. Nun ist das Oberlandgericht am Zuge. Aber man rechnet damit, daß die "krummen Dinger" letztlich auf dem Tisch des Bundesgerichtshofes landen werden.

Unerwartet ist im März positive Nachricht aus Brüssel gekommen. Hier hatte der "Spreewaldverein" vor drei Jahren einen Antrag auf geographischen Schutz der Marke "Spreewälder Gurken" gestellt. Dem

hat die EU stattgegeben. Im Amtsblatt der Gemeinschaft vom 18. 3. ist die Verordnung veröffentlicht, wonach Spreewälder Gurken nur noch aus dem Spreewald kommen dürfen. Mindestens 70 Prozent der

Rohware muß im Wirtschaftsraum Spreewald erzeugt werden, und die Verarbeitung darf nur in Betrieben der Region erfolgen. Damit dürfte das Hamburger Urteil keine Chancen im Revisionsverfahren haben.