Arbeit für alle ist wegen des Haushaltsdefizits kaum noch möglich. | Havanna. (apn) In einem Sanierungsobjekt in der Altstadt von Havanna streicht ein Arbeiter die Wand. Zwei schauen zu. Der vierte Kollege hält ein Nickerchen in einer Scheibtruhe, zwei weitere sitzen am Randstein und machen Zigarettenpause. Kubas Präsident Raul Castro schreckte die Nation vor einer Weile mit der Bemerkung auf, einer von fünf Werktätigen könnte überflüssig sein. Auf der Baustelle in der Calle Obispo scheint das Verhältnis eher umgekehrt zu sein.
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Derzeit arbeitet noch fast jeder Beschäftigte in Kuba für Vater Staat, die offizielle Arbeitslosenzahl ist verschwindend gering. Der Lohn ist allerdings so niedrig, dass der Spruch umgeht: "Der Staat tut so, als ob er uns bezahlt, und wir tun so, als ob wir arbeiten."
Doch das große Haushaltsdefizit, das sich mittlerweile angestaut hat, stellt ein Weitermachen wie bisher in Frage. Als Folge der weltweiten Finanzkrise und der Milliardenschäden durch drei Wirbelstürme 2008 kann Kuba Kredite - unter anderem aus China - nicht zurückzahlen. Die Ausgaben für Importe wurden 2009 um rund ein Drittel zurückgefahren. Doch das reicht nicht aus, um das Defizit aufzufangen.
Immer öfter wird daher von den Parteikadern eine Reduktion des aufgeblähten Personalbestands oder eine Umstrukturierung des Arbeitsmarktes angedeutet. "Wir wissen, dass hunderttausende unnötige Arbeitskräfte in den Haushaltsplänen und Arbeitsbüchern stehen", sagte Staatschef Raul Castro, der vor vier Jahren für seinen kranken Bruder Fidel nachgerückt war, etwa bei einer Rede im April. Und auch wenn genaue Einzelheiten noch fehlen, sorgt das für Unruhe, war doch der garantierte Arbeitsplatz ein Pfeiler der Revolution 1959.
Der Koch am Feld
In seiner Rede ging Castro auch hart mit denjenigen ins Gericht, die ihren Lohn nicht wirklich verdienen. "Wenn die Menschen kein Bedürfnis verspüren, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten, wenn sie von übermäßig paternalistischen und irrationalen Vorschriften geschützt sind, werden wir nie die Liebe zur Arbeit wecken", sagte er. Tatsächlich hat eine Arbeitsmarktreform vielleicht schon begonnen, wenn auch zunächst nur langsam.
Beschäftigte der Tourismusbranche berichten, dass einige ihrer Kollegen in den ruhigen Sommermonaten beurlaubt oder der Landwirtschaft zugewiesen wurden. "Jetzt in der Nachsaison hat das Hotel, in dem ich arbeite, viele Leute für zwei, drei Monate nach Hause geschickt", sagt Orlando, ein Koch im Badeort Varadero. "Das ist ganz schön hart, weil man dann gar keinen Lohn erhält." Auch Veronica, Empfangsdame in einem anderen Hotel in Varadero, befürchtet, im August nach Hause geschickt zu werden, wenn das Haus nur halb belegt ist. "Manchmal bieten sie Alternativen an, einen Fortbildungskurs oder eine andere Stelle", sagt sie. Oft wartet aber die Feldarbeit.
Gerüchten zufolge könnte in manchen Branchen bis zu einem Viertel der Beschäftigten ihren Job verlieren beziehungsweise aufs Land oder auf den Bau delegiert werden. Doch Arbeitsministerin Margarita Gonzalez hat immerhin versprochen, dass es "keine massiven Entlassungen nach Art neoliberaler Kürzungen" geben werde.