Im 41. Jahr des Fidel Castro zeigt sich Kuba gespaltener als je zuvor seit der Machtübernahme des "Commandante en jefe". Während die "Peso-Menschen" nur mit Hilfe der "Libreta", dem staatlichen Bezugsheft für rationierte Nahrungsmittel, überleben, stehen die "Dollar-Menschen" in westlichen Devisenläden vor vollen Regalen. Ein Resultat der "periodo especial", des seit dem Kollabieren der Sowjetunion ausgerufenen Notstands, und der damit verbundenen "Dollarisierung" im Land. So lange es Castro gibt, scheint das System trotz wachsender Ungleichheiten dennoch nicht fundamental gefährdet. Zu übermächtig ist die Person des Staatschefs, zu stark sein Rückhalt in breiten Teilen der Bevölkerung.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Kuba ist überall. Kaum ein Tag, an dem die Zuckerinsel nicht von sich hören, sehen oder riechen ließe. Wer die Sons des Buena Vista Social Club noch nicht in den Ohren hat, der hat keine. Seit 1997 sind die pensionierten kubanischen Musiker auf endlosen Konzerttourneen unterwegs in Europa wie den USA und kassieren einen Grammy nach dem anderen. Auch Österreich jubelt mit. Ibrahim Ferrer wird beim Jazzfest Wien in der Staatsoper gefeiert, Eliades Ochoa und Compay Segundo beim Jazzfest in Wiesen. Auf den Dance floors des Landes wütet zudem das Salsa-Fieber. Von Wien bis Bregenz vergeht kein Tag, an dem in einem der zahlreichen Latino-Lokale nicht "Havanna Club" angesagt wäre. In den Pausen wird kubanischer Rum getrunken, als Mojito, Daiquiri, Cuba libre oder Pina Colada. Dazu eine kubanische Zigarre, denn die ist gleichfalls hip. Das weiß auch die Austria Tabak und macht daher trotz starkem Dollar und Preiserhöhungen gute Geschäfte mit Cohibas und Monte Christos.
Kuba ist auch in den Wohnzimmern: Bei den Olympischen Spielen in Sydney, die wochenlang über die Bildschirme flimmerten, erkämpften die Athleten der Zuckerinsel elf Goldmedaillen, elf silberne und sieben bronzene: Was für ein Resultat für ein Land mit kaum mehr Einwohnern als Österreich und einem Sportbudget, das unter dem jedes heimischen Zweitligaclubs liegt.
Nicht zuletzt ist das kleine Kuba großer Schauplatz der Weltpolitik. Seit Jahrzehnten sorgt die "letzte Insel im Meer des Kapitalismus", wie Fidel Castro sein Land gerne nennt, in regelmäßigen Abständen für weltweite Schlagzeilen. Seien es nun die wiederholten Konflikte rund um das von der UNO wiederholt verurteilte US-Embargo. Oder die Kritik der Staatengemeinschaft hinsichtlich der Achtung der Menschenrechte. Sei es nun der Sorgerechtsstreit um den kleinen Kuba-Flüchtling Elian, der mit seiner Rückkehr nach Kuba und einem Triumph für Castro endete. Oder ein spektakulärer Flugzeugabsturz im Zuge des Fluchtversuchs einer kubanischen Familie.
Touristenstrom trotz Krise
Anhaltende Popularität und ihre Ausnahmestellung bescheren der Insel einen wachsenden Fremdenverkehr. Rund zwei Millionen Touristen lassen jährlich hunderte Millionen US-Dollar im Land, Einnahmen, die Kuba dringend braucht. Die "Periodo especial en tiempos de paz", der seit dem Kollabieren der Sowjetunion und ihrer Satelliten ausgerufene Notstand im Land, dauert nun schon bald ein Jahrzehnt. Vom Wegfall der sozialistischen Bruderschaftshilfe im Rahmen des Comecon hat sich das Land bis heute nicht erholt. Als Folge des Transformationsprozesses in Osteuropa und der GUS ging Kubas Bruttosozialprodukt zu Beginn der Neunziger Jahre um die Hälfte zurück, der Außenhandel schrumpfte um zwei Drittel. Was noch da war, wurde rationiert, die Industriekapazität wurde gedrosselt und der Konsum der Bevölkerung minimiert.
An der Schwelle zum 21. Jahrhundert zeigt sich Kuba vor dem Hintergrund einer anhaltenden Wirtschafts- und Versorgungskrise gespaltener als je zuvor seit der Machtübernahme Castros. Einerseits wurde die politische Unabhängigkeit der Insel bewahrt, das Bildungs- und Gesundheitssystem zum besten der Dritten Welt entwickelt, der Rassismus eingedämmt und ein noch immer weitgehender gesellschaftlicher Konsens geschaffen, der auf dem Ideal einer egalitären und gerechten Gesellschaft basiert. Andererseits sind Bürgerrechte und demokratische Freiheiten stark eingeschränkt, persönliche Initiative und Zivilcourage unerwünscht, die Staatswirtschaft ineffizient und die Armut weit verbreitet.
Peso contra Dollar
Seit der Staatspleite im Herbst 1993 ist der Besitz von Dollars, Symbol des Erb- und Klassenfeindes, erlaubt, die US-Währung ist neben dem Kubanischen Peso offizielles Zahlungsmittel. Hunderte Millionen Dollar fließen seit diesem Zeitpunkt jährlich in Form von Überweisungen von Exil-Kubanern in die Hände der Bevölkerung und in die Staatskassen. Nach wiederholten Verschärfungen des US-Sanktionskurses (Höhepunkt: Helms-Burton-Gesetz 1996, das Auslandsinvestitionen in Kuba verhindern soll) verkündet US-Präsident Bill Clinton 1999 zur Abwechslung eine Lockerung: Von jedem Wohnsitz in den USA dürfen bis zu maximal 1.200 US-Dollar pro Jahr nach Kuba überwiesen werden. Zuvor waren nur Überweisungen von Exil-Kubanern an Verwandte möglich gewesen.
Die wachsenden Zugangsmöglichkeiten von Teilen der Bevölkerung zu Devisen, vor allem im Tourismusgeschäft, haben eine Zwei-Klassengesellschaft geschaffen, die Castro zwar zähneknirschend, aber dennoch anerkennt. Auf der einen Seite stehen die "Peso-Menschen", die gleich ob als Arzt, Lehrer oder Bauarbeiter umgerechnet nur rund zehn bis 15 US-Dollar im Monat verdienen. Sie sind auf die "Libreta", das Bezugsheft für rationierte Nahrungsmittel, angewiesen. Für symbolische Beiträge von wenigen Pesos erhalten sie in den staatlichen Läden zumindest Grundnahrungsmittel wie Reis und Bohnen sowie das ihnen monatlich zustehende Stück Seife. Auf der anderen Seite stehen die "Dollar-Menschen", die auf welchem Weg auch immer, zu US-Geld gelangt sind. Ihnen stehen auch die westlichen Devisenläden, in denen es so ziemlich alles zu kaufen gibt, offen.
Fremdenverkehr boomt
Den besten Zugang zu den begehrten Dollars bietet neben einer reichen Verwandtschaft in den USA der Fremdenverkehr. Die Branche boomt seit einigen Jahren und überholte 1995 sogar den Zucker als Devisenbringer Nummer eins. Wer in einem Hotel oder als Fremdenführer arbeitet, der gilt als privilegiert. Wer diese Chance nicht hat, kann sich nur mit viel Glück, Geschick und einem kleinen Grundkapital als Kleingewerbetreibender auf "cuenta propria", auf eigene Rechnung, selbständig machen. Grundsätzlich gilt aber, dass nur einer, der Dollars hat, einen Job findet, der Dollars bringt.
Mit zunehmender Resignation akzeptiert auch die Partido Communista de Cuba (PCC) die "Dollarisierung": "Wir haben Sozialismus und wir werden Sozialismus haben, aber der einzige heute auf Kuba mögliche Sozialismus erfordert in wachsendem Ausmaß, schwer zu handhabende Mechanismen zu übernehmen, wie etwa Geld-Handelsbeziehungen und noch gewisse andere kapitalistische Elemente", heißt es dann etwa kryptisch in einer Stellungnahme. Leicht gemacht wird es den kleinen Selbständigen aber nicht. Sie gelten weiterhin als notwendiges Übel und sehen sich entmutigenden Steuern, Abgaben und Einschränkungen gegenüber. Dazu kommt die Angst, dass im Fall einer Besserung der Gesamtlage im Land ihr Kleingeschäft auch wieder verboten wird.
Privatinitiative unerwünscht
Auf mindestens 600 US-Dollar schätzt Rafael, Schuhputzer in Santiago de Cuba, den notwendige Betrag, um als Selbständiger einen Paladar, ein kleines Restaurant, einzurichten. Dazu kommen noch 200 US-Dollar für die Lizenz, Summen, die mit einem durchschnittlichen Staatsgehalt außer Reichweite sind. Kaum weniger sind es bei der Gründung einer Cafeteria oder dem Betreiben eines Taxis. Rafaels Fazit: "Die Regierung will nicht, dass ein Kubaner Geld sieht. Sie denkt, mit dem Geld könnte man spekulieren, sich bereichern oder etwas gegen das System unternehmen." Aus diesem Grund sieht Rafael, so sehr er Kuba liebt, mittelfristig keinen anderen Weg als auszuwandern. Ein schwieriges Unterfangen, denn auch dafür bräuchte er erstens Geld und zweitens ein Land, in dem er willkommen ist. In Florida hat er zwar entfernte Verwandte, die Tür in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist aber schon lange nicht mehr offen. Im Jahr 1994, dem Höhepunkt der "Post-Sowjet-Krise" hatte Castro nach ernsthaften sozialen Unruhen die Ausreise von über 30.000 "Balseros", kubanischen Auswanderern, in die USA erlaubt. Als Folge sah sich Washington gezwungen, seine Flüchtlingspolitik gegenüber Kuba zu ändern. War bis zu diesem Zeitpunkt jeder Flüchtling mit offenen Armen als Freiheitsheld empfangen worden, so wird nach Absprache mit Castro seit diesem Zeitpunkt jeder gefasste Flüchtling wieder auf die Insel zurückgebracht.
Vertrauen auf Fidel
Rafael gehört zur großen Masse der Kubaner, die die Lebensumstände auf der Insel schweigend erdulden. Trotz der Verschlechterung seiner Lage hält er ungebrochen am Genossen Fidel fest, der sein Leben für Kuba riskiert, gratis Wohnraum, Schulen und Krankenhäuser geschaffen habe, der ganzen Welt und besonders den USA die Stirn biete, und sich täglich für seine Landsleute einsetze. Selbst wenn manche auf den "bösen Staat" schimpfe, meint Rafael, seien sie auf nichts so stolz wie auf die Tatsache, Kubaner zu sein und in "ihrem" kubanischen Staat zu leben.
Bis sich die Rahmenbedingungen ändern oder sich die Chance für eine Ausreise auftut, organisiert Rafael sein Leben so gut es geht. Neben seinem kleinen Einkommen als Schuhputzer hält er sich wie viele andere Kubaner einige Hühner auf dem Balkon seiner Wohnung. Dadurch sei der verfügbare Raum zwar noch kleiner geworden, dank der kürzlich eingezogenen Zwischendecke käme die Familie mit zwei Kindern aber zurecht. In dem Vorraum, der gleichzeitig als Küche dient, finden sich das in jedem kubanischen Haushalt obligate Radio, ein Reiskocher und ein Fahrrad. Im einzigen Zimmer ist eine Ecke für den Altar reserviert, in der anderen findet sich der Schwarz-Weiß- Fernseher sowjetischer Produktion.
Gesendet wird gerade eine Folge des US-Science-Fiction-Klassikers "Alien". So sehr Castro gegen den imperialistischen Nachbarn im Norden wettert, so häufig läßt er US-Filme im Fernsehen laufen. Weniger in der Intention, seinen Landsleuten einen Kulturschock zu bereiten, als vielmehr mit der vorzeitigen Ausstrahlung von aktuellen, schwarz kopierten Kinofilmen die amerikanische Industrie zu ärgern.
Die Kubaner reagieren ihrerseits mit einem merkwürdigen Humor auf das Vorgesetzte. Als Folge der "Alien"-Sendungen tauften viele Familien ihren Nachwuchs auf den Namen "Alien" oder eben Elian.
"Keine Bananenrepublik"
Warum es in Kuba nicht zu Glasnost und Perestrojka kommt wie sie von der Sowjetunion und ihren Satelliten vorexerziert wurden, liegt nicht nur an der Person Castros. Als abschreckendes Beispiel werden auch die schlechten Erfahrungen des südamerikanischen Kontinents mit Kapitalismus und Faschismus genannt. "Wir wollen keinen Papa Doc und keine Bananenrepublik, in der sich fünf Prozent der Bevölkerung auf Kosten der anderen bereichern", sagt Angelo, Student an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität in Havanna, kämpferisch. In Kuba wurde praktisch alles verstaatlicht, die Öffnung Kubas würde die Reprivatisierung vieler Häuser nach sich ziehen, in denen sich etwa Krankenhäuser, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen befinden. "Wir sind zwar arm, haben aber unsere Ehre", setzt Angelo nach. "Wenn der Kapitalismus käme, würden die Leute in Slums verkommen."
Wie die Zukunft Kubas aussieht, darüber wagt heute niemand eine Prognose. Der langsame Aufwärtstrend, der sich nach den Jahren der Rezession abzeichnet, steht auf tönernen Füßen. Die Wirtschaft leidet nach wie vor an der Abhängigkeit von den Monokulturen Zucker und Tabak, an der mangelnden Effizienz der Staatsbetriebe, der Unterdrückung von Privatinitiative und dem Fehlen von Kapital. Ausländische Investoren zeigen sich zwar zunehmend an Kuba interessiert, das US-Embargo bleibt aber ein großer Hemmschuh. Berechtigte Hoffnungen werden auch auf den Tourismus gesetzt, die Branche alleine wird den Aufschwung aber nicht tragen können.
Kubas Schicksal ist eng mit dem des "lider maximo" geknüpft. Fidel Castro soll einmal scherzhaft gesagt haben, die Wissenschaft könne ihm 120 Lebensjahre ermöglichen. Sieht man den heute 74jährigen bei einer seiner bis zu sieben(!)stündigen, von glühender Energie und Begeisterung getragenen Reden, so traut man ihm dieses biblische Alter durchaus zu. Und bis dahin könnten sich die weltweit renommierten, kubanischen Gentechniker und Biotechnologen ein Mittel für die nächsten 120 Jahre überlegt haben. Ganz im Sinne von Castros Mythos und Lieblingsspruch: "Die Massen müssen spüren, dass die Grundlage für Wunder existiert."
Mehr über Kuba: Sven Creutzmann, Henky Hentschel: "Salsa einer Revolution" bei Rogner & Bernhard, Hamburg 2000