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Kubakrise oder Erster Weltkrieg?

Von David Ignatius

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Im Konflikt um das iranische Atomprogramm steigt die Gefahr einer militärischen Eskalation. Experten sind sich uneinig, welche geschichtliche Parallele der jetzigen Situation entspricht. | Die Konfrontation zwischen den USA und dem Iran bezeichnet Graham Allison, Havardprofessor und Verfasser einer Studie über Präsident Kennedys entscheidende Kraftprobe mit der damaligen Sowjetunion, die 1962 nur knapp einen Atomkrieg verhinderte, als "Kubakrise in Zeitlupe". Diese Analogie unterschätzt jedoch das gegenwärtige Risiko.


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Die Bush-Regierung ist bestrebt, das ausgebrochene Kriegsfieber zu kühlen und bezeichnet Geschichten über militärische Angriffspläne als wilde Spekulationen. Sie besteht auf Diplomatie als Präventionsstrategie, wenn sich auch die Militärstrategen unterdessen immer neue Schlachtpläne zurechtlegen -- nur für den Fall eines Scheiterns der Diplomatie, wie es heißt.

Eine ähnliche Doppelgleisigkeit von Verhandlungs- und Kampfabsichten, wie sie typisch ist, wenn sich Konfliktparteien gegenseitig hochschaukeln, lässt auch der Iran erkennen, der in der Zwischenzeit mit der Urananreicherung begonnen hat, also einen entscheidenden Schritt in Richtung Atomwaffen setzt. Keiner von beiden will Krieg, aber beide entwerfen Szenarien, die eine militärische Eskalation immer wahrscheinlicher machen. Diese Sackgasse brachte Seymour Hersh im "New Yorker" auf den Punkt, einen Pentagon-Ratgeber zitierend: "Der Iran darf auf keinen Fall zu einem Staat mit Atomwaffen werden. Das Problem ist nur, die Iraner wissen, dass sie sich nur als Atommacht gegen die USA verteidigen können."

Allison vergleicht das Dilemma, in dem Präsident Bush sich im Moment befindet, mit dem Kennedys in der Kubakrise. Berater bezeichnen die Lage als ausweglos: Entweder schweigend dulden, dass ein gefährlicher Gegner zur Atommacht wird oder einen Krieg beginnen, um ihn daran zu hindern.

Die Vertreter einer harten Gangart warnten Kennedy 1962, alternative Handlungsmöglichkeiten verzögerten nur den unvermeidlichen Tag der Abrechnung. Bush bekommt im Moment wahrscheinlich ähnlichen Rat zu hören.

Die Militärstrategen halten in der Zwischenzeit Ausschau nach lohnenden Angriffszielen, wie sie das in einer derart ernsten Lage tatsächlich tun müssen, aber die Ratgeber des Präsidenten, und vor allem er selbst, müssen dringend nach Auswegen aus der unerbittlichen Logik suchen, die Amerika und den Iran auf einen Krieg zutreibt.

Mich beunruhigt daran, dass die passende historische Analogie vielleicht nicht die Kubakrise ist, also ein Krieg der verhindert werden konnte, sondern der Erste Weltkrieg, also einer, der nicht zu stoppen war. Er war das Ergebnis eines engen Ineinandergreifens von Bündnissen, Verpflichtungen, angenommenen Drohungen und strategischen Irrtümern. Der britische Historiker Niall Ferguson schreibt in "The Pity of War", dass die britische Entscheidung, in den Ersten Weltkrieg einzusteigen, ein schwerer Fehler war, der Anfang vom Ende des Empire.

Zbigniew Brzezinski, ein früherer Sicherheitsberater Präsident Carters, sagt Ähnliches über den Iran. "Ein Krieg gegen den Iran würde die jetzige Stellung der USA beenden", erklärte er mir diese Woche: "Der Irak könnte eine Vorschau darauf sein, die aber noch tilgbar ist, wenn wir uns rasch zurückziehen. In einen Krieg im Iran wären wir 20 oder 30 Jahre lang verwickelt. Und die Welt würde uns verdammen." Bush solle sich Zeit lassen, sagt er, denn den meisten Experten zufolge sei der Iran noch mindestens fünf bis zehn Jahre vom Bau einer Atombombe entfernt.

Die Bush-Regierung hat gezeigt, dass sie Kämpfe besser anfangen als beenden kann. Sie sollte nicht wieder diesen Fehler machen. Kriegsdrohungen nach langem Zögern sind viel überzeugender.

Übersetzung: Hilde Weiss