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Kuchen der EU-Fonds wird neu verteilt

Von Heike Hausensteiner

Europaarchiv

Die Europäische Union ist eine Baustelle. Waren die EU-Spitzen in Nizza vor nunmehr fünf Monaten zusammengetroffen, um sich auf einen neuen Vertrag für die Union zu einigen, wurde sogleich ein "Post-Nizza-Prozess" festgelegt. Den lautesten Startschuss zur Debatte über die EU-Reform, die sich kontinuierlich fortsetzt, hat zu Monatsbeginn Deutschlands Kanzler Gerhard Schröder abgegeben. Neben einer Stärkung von Kommission und Parlament regte der SPD-Chef auch an, die Agrar- und Strukturpolitik auf nationale Ebene zurückzu- verlagern. In die Tat umgesetzt, würde dieser Schritt mit einer ordentlichen Portion Sprengstoff für die Gemeinschaft begleitet werden. Denn die Union ist im Begriff, Länder aufzunehmen, die noch ärmer sind als jene Mitgliedstaaten, die derzeit von den milliardenschweren EU-Förderungen profitieren. Der EU stehen harte Finanzverhandlungen ins Haus.


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Schröder beruft sich laut dem vom "Spiegel" exklusiv abgedruckten SPD-Entwurf zu EU-Reformvorschlägen auf das Subsidiaritätsprinzip. Bestimmte Aufgaben könnten von den Mitgliedstaaten "sachgerechter" wahrgenommen werden. "Dies gilt besonders für die Kompetenzen der EU in den Bereichen Agrar- und Strukturpolitik, um den Spielraum für eine eigenständige Regional- und Strukturpolitik der Mitgliedstaaten auszuweiten", wird Schröder zitiert.

Durch die geplante Vergrößerung wird die Europäische Union reicher und - statistisch - ärmer zugleich. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU dürfte um 18 Prozent sinken, wenn die Union auf 27 Mitglieder angewachsen sein wird. Davon geht die Kommission in ihrem zuletzt vorgelegten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der EU aus. Damit würde mehr als die Hälfte der Regionen der "alten" Mitgliedsländer, die derzeit Anspruch auf Beihilfen haben, zumindest teilweise aus dem Brüsseler Geldregen fallen. Davon betroffen wären das Burgenland und Ost-Deutschland als Ziel-1-Fördergebiete etwa genauso wie zum Teil die südlichen Mitgliedsländer Spanien, Portugal, Griechenland und Italien sowie Irland (siehe neben stehende Grafik).

Nicht im Geldregen stehen gelassen

Vor allem Spanien wird die Änderung der wirtschaftlichen Struktur in einer größeren Union zu spüren bekommen: Das Land ist derzeit der größte Nutznießer der Strukturfonds und des Kohäsionsfonds (siehe Kasten) und erhält (in absoluten Beträgen) 43 Mrd. Euro. Statistisch gesehen, sind aber die Griechen mit 2000 Euro pro Kopf die größten Empfänger. Diese Gebiete würden aus den EU-Fördertöpfen verdrängt durch Länder wie Bulgarien oder Rumänien, die gerade mal 30 Prozent des Pro-Kopf-Einkommens der EU erreichen, oder Polen, das auf 50 bis 75 Prozent kommt. Sind sie einmal EU-Mitglied, drücken diese Länder das Pro-Kopf-Einkommen in der EU.

In der laufenden Finanzperiode (für die sieben Jahre von 2000 bis 2006) erhalten die benachteiligten EU-Regionen Förderungen von ingesamt rund 213 Milliarden Euro. Davon wurden 40 Mrd. Euro für die Kandidatenländer reserviert, das entspricht 0,45 Prozent des BIP in der EU. Die Dotierung der Strukturfonds und des Kohäsionsfonds wurde im Paket der "Agenda 2000" festgelegt (siehe dazu die "Wiener Zeitung" vom 7. Mai). Die Strukturfondsmittel betrugen im Jahr 2000 29,4 Mrd. Euro. Sie sollen schrittweise sinken auf 26,6 Mrd. Euro (366 Mrd. S) im Jahr 2006. In den Kohäsionsfonds sollen bis 2006 mit jährlich abnehmender Tendenz 18 Mrd. Euro fließen. Das Geld wird von den Mitgliedstaaten eingezahlt.

Die Förderungen wirken: Seit Ende der 1980-er Jahre ist in den am wenigsten wohlhabenden Mitgliedsländern Griechenland, Spanien und Portugal das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen von 68 Prozent des EU-Durchschnitts auf 79 Prozent 1999 gestiegen.

2003 soll überprüft werden, ob alle Förderberechtigten noch Ansprüche haben. Ist ein Mitgliedstaat nicht mehr förderungswürdig, werden die Mittel für den Kohäsionsfonds entsprechend gekürzt. Die Kommission wird dann Vorschläge zur neuen Dotierung der Strukturfonds vorlegen.

Gemeinschaftspolitik versus Eigeninteressen

Die EU kann sich auf harte Verhandlungen unter den bisherigen Mitgliedsländern einstellen. Einen Vorgeschmack darauf boten bereits die Verhandlungen um die Institutionenreform in Nizza. Die Strukturpolitik bleibt vorerst von den - zur Förderung der Gemeinschaftspolitik angestrebten - Mehrheitsentscheidungen ausgenommen, insbesondere auf Drängen Spaniens. Ebenso bedürfen Agenden der Steuer- und Sozialpolitik aus Rücksicht auf Großbritannien und des Wassers aus Rücksicht auf Österreich weiterhin einer einstimmigen Entscheidung. Wenn es um die politische Stimmung zu Hause geht, ist doch das eigene Hemd näher als die Gemeinschaft.

In der Debatte um die EU-Osterweiterung und deren Auswirkungen auf die "alten" Mitgliedsländer macht Spanien nun auch Druck, die Strukturförderungen zu behalten. Haben sich doch Deutschland und Österreich bei der Einführung von Schutzklauseln am Arbeitsmarkt - fast - durchgesetzt. Wird die EU eine Zwei-Klassen-Gemeinschaft?

Manchmal gebe es "eine Notwendigkeit für ein Europa mit verschiedenen Geschwindigkeiten", meint der für Regionalpolitik zuständige Kommissar Michel Barnier. "Geben wir den Strukturfonds ausreichende Mittel, damit die rückständigen Regionen aufholen können, so verringern wir diese Unterschiede". Nur so könnten die Regionen den EU-Durchschnitt erreichen. Aber Ziel sei es nicht, weiterhin Mitteln aus dem Strukturfonds zu bekommen: "Die Länder sollten sich auf eine echte Konvergenz zubewegen und ihr Einkommensniveau annähern, damit sie sich stärker in die Union integrieren. Der Kohäsionsfonds und die Strukturfonds dürfen sich nicht in einen Besitzstand umwandeln."