Studenten trieb sie auf die Barrikaden und Bismarck glaubte sie überwunden, die deutsche "Kleinstaaterei". Aber in der Kulturpolitik feiert sie bis heute fröhliche Urständ.
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Wer im Geschichtsatlas die Deutschlandkarte des frühen 19. Jahrhunderts aufschlägt, sieht einen Fleckerlteppich. Alle paar Kilometer ein Herzogtum oder gar Königreich. Als "Operettenstaaten" bespöttelte man diese Mini-Imperien. Die Gründung des Deutschen Reichs - unter Ausschluss Österreichs - sollte damit Schluss machen.
Als Nicht-mehr-ganz-Neuberliner kann ich nur sagen: "Denkste"! Wie schon öfter erwähnt, ist ausgerechnet die Kultur, der Bereich, der eigentlich den inneren Zusammenhalt eines Staates garantieren sollte, Ländersache geblieben. Heute, 160 Jahre nach der "Deutschen" Revolution, spricht man lieber von "territorialer Vielfalt" oder "Polyzentralität" und bewertet sie weitaus positiver, weil gerade diese zur Vielfalt der kulturellen Entwicklung in Deutschland beigetragen haben.
Das spiegelt eine in dieser Woche vorgelegte Statistik, von Bund und Ländern gemeinsam erarbeitet - das erste derartige Dossier seit vierzehn Jahren! Ihr offizieller Titel lautet: "Kulturindikatoren auf einen Blick. Ein Ländervergleich"; der inoffizielle könnte heißen: "Kultur-Fleckerlteppich Deutschland" (O-Ton: "Flickenteppich").
So gehen zum Beispiel die Berliner am häufigsten ins Museum, dafür die Hamburger mehr ins Theater. Sachsen gibt am meisten pro Kopf für den Denkmalschutz aus, die Bremer leihen viermal so viel Bücher im Jahr aus wie die Saarländer, in Berlin leben elfmal so viele Künstler
(= Versicherte in der Künstlersozialkasse) wie in Sachsen-Anhalt usw. Keine geringen Unterschiede.
Natürlich gibt es noch methodische Kinderkrankheiten. Teils amtliche, teils nicht-amtliche Statistiken mit unterschiedlichen Erhebungsmethoden mussten herangezogen werden. "So vielfältig wie die Kulturlandschaft in Deutschland, so vielfältig ist eben auch die Kulturstatistik", meint der Vorsitzende des Kultur-Ausschusses im Bundestag, Hans-Joachim Otto (FDP). Die Untersuchung entspreche noch nicht den Forderungen der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland", eine "bundeseinheitliche Kulturstatistik" zu entwickeln, die inhaltlich und methodisch mit einer noch zu schaffenden europäischen Kulturstatistik kompatibel sei.
Dennoch: Ein Anfang ist getan. Auf 65 Seiten ist eine enorme Datenfülle zusammengetragen, von Theater-, Museums- und Kinobesuchen je Einwohner oder dem Anteil der Musikschüler in ihrer Altersklasse bis zum Kulturbudget privater Haushalte. Man erfährt, dass die Bayern die meisten Volkshochschulkurse "Kultur, Gestalten" besuchen, dass rund 80.000 Studierende (4 Prozent) in der Fächergruppe "Kunst, Kunstwissenschaft" immatrikuliert sind oder dass an 924 öffentlichen Musikschulen insgesamt 903.000 Schüler unterrichtet werden, das ist jeder 19. Heranwachsende.
Für Kunst und Kultur sind die Gemeinden Geldgeber Nummer eins. Sie steuern fast die Hälfte aller Ausgaben bei. Dicht gefolgt von den Ländern und - mit großem Abstand - vom Bund. Auch wenn die insgesamt 8 Milliarden imposant klingen, die die öffentlichen Hände ausgeben, so beträgt der Anteil am Bruttoinlandsprodukt nicht einmal 0,4 Prozent. Zwar wurde das Budget des Staatsministers Neumann (CDU) auf Bundesebene erhöht, aber insgesamt gehen die Kulturausgaben zurück.
Hingegen haben die Kulturberufe eine enorme Wachstumsdynamik entwickelt: Plus 32 Prozent in nur 10 Jahren! (Zum Vergleich: Erwerbstätige insgesamt nur 4 Prozent.) Dabei stellen die Bildenden Künstler (plus 60 Prozent) und die Publizisten (plus 40 Prozent) die größten Gruppen.