"Kultur und Entwicklung" ist seit einigen Jahren in der entwicklungspolitischen Diskussion von einem Randthema ins Zentrum des Interesses gerückt. Damit einher geht die Erkenntnis, dass Kultur nicht nur der Zuckerguss auf dem Kuchen ist, sondern das Triebmittel, welches entscheidend zum Gelingen des Backwerks beiträgt. Wenn das stimmt, muss Kultur in der Entwicklungszusammenarbeit viel stärker bzw. in anderer Weise als bisher Berücksichtigung finden.
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Die Tragweite von Kultur in der Entwicklungszusammenarbeit hat ein erfahrener finnischer Experte so formuliert: "Ich habe selten Projekte wegen technischer oder fachlicher Mängel scheitern sehen. Wenn es Probleme gab, waren sie in kulturellen Missverständnissen, schlechter Kommunikation und unangepassten Haltungen begründet."
Das Department für Entwicklungszusammenarbeit im finnischen Außenministerium wollte es vor einigen Jahren genau wissen und hat eine breit angelegte Evaluierung seiner Kooperationen mit Vietnam, Mosambik und Äthiopien durchgeführt. Anstoß war der Bericht "Our Creative Diversity", 1995 von der UNO-Kommission für Kultur und Entwicklung formuliert. Darin wurde eindringlich auf die Bedeutung des Respekts vor den Werten, Normen und Lebensweisen anderer Kulturen hingewiesen.
Die finnische Evaluierung mündete - gestützt auf fundierte Ergebnisse - in einer Reihe von Empfehlungen, wie Kultur in die Programmgestaltung, ja bereits in erste Kontaktnahmen und auch in den politischen Dialog integriert werden kann. Aufgezeigt wird, welche Fertigkeiten, Kenntnisse und Haltungen unumgänglich sind, um Entwicklungsimpulse setzen zu können und um überhaupt Begegnung zu ermöglichen. Man erhofft sich damit einen Qualitätssprung in der Kooperation.
Mamadou Diawara, Ethnologe und Direktor eines Forschungszentrums in Mali, hat kürzlich in einem Beitrag (NZZ, 11. 11. 2000) darauf hingewiesen, dass rein technokratisch angelegte Projekte zum Scheitern verurteilt seien. Er kritisiert universalistische Ansätze von internationalen Institutionen wie der Weltbank, welche die eine Lösung für Probleme in unterschiedlichen Ländern parat hätten und lokale Strukturen, gewachsenes Wissen, auch soziale Widerstände und Machtverteilungen in diesen Kulturen nicht berücksichtigten. Der Autor ist überzeugt davon, dass es auch unter den ökonomischen oder technischen Lösungen keine gebe, die bezüglich kultureller Besonderheiten immun sind.
Was ist Kultur?
Aus diesen Beispielen wird deutlich, dass der neueren entwicklungspolitischen Diskussion eine umfassende Definition von Kultur zugrunde liegt. Auf der Weltkonferenz über Kulturpolitik (Mondiacult), 1982, wurde sie folgendermaßen umrissen: Kultur ist die komplexe Gesamtheit der verschiedenen spirituellen, geistigen, emotionalen und materiellen Merkmale einer Gesellschaft oder sozialen Gruppe. Sie umfasst nicht nur Lebensstile, sondern auch Werte und Überzeugungen, Traditionen und Wahlmöglichkeiten bzw. Rechte. Die künstlerischen Ausdrucksweisen sind Teil der Kultur und stehen gleichzeitig in einer besonderen Form der Auseinandersetzung mit ihr.
Diese Definition in der Entwicklungszusammenarbeit ernst zu nehmen hat Folgen. Kultur kann dann nicht als Beiwerk betrachtet werden, auch nicht als fachlicher Sektor, der in einzelnen Projekten Niederschlag findet. Kultur darf auch nicht als weitere Belastung gesehen werden im Sinne von "oh Gott, auch das ist in den Projektkonzeptionen noch zu berücksichtigen und in einem Fragebogen abzuhaken" (nicht selten das Schicksal von Gender oder Umwelt). Wenn Kultur im umfassenden Sinn verstanden wird, muss sie Basis jedes Programmansatzes, jedes Projektes werden. Auch bei Grundanliegen wie Armutsbekämpfung oder Demokratieförderung ist der kulturelle Aspekt mitzudiskutieren.
Peter Kuthan, Konsulent für Kulturfragen der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium, sagt: "Es geht nicht mehr bloß darum, kulturelle Faktoren in Entwicklungsprozessen - quasi instrumentell - stärker zu berücksichtigen, sondern die Kultur als Quelle von Inspiration und Selbstbehauptung, als soziale Grundlage und letztlich als Zielorientierung von Entwicklung zu begreifen. Kultur ist dabei nichts Statisches, sondern befindet sich in einem dynamischen Prozess, der wesentlich vom Austausch belebt wird." (Südwind-Magazin 9/99)
Vorerst noch Wildwuchs
Und wie sieht die derzeitige Realität im Kontext der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (ÖEZA) aus? Einige Beispiele zur Veranschaulichung:
- Kulturaustausch mit Musikgruppen: 1993 die Attwenger auf Tournee in Simbabwe. 1994 Rückspiel von Oliver Mutukudzi & The Black Spirits in Österreich. Gemeinsame Auftritte. 1996 die Wiener Tschuschenkapelle in Simbabwe. 1997 Teilnahme der Musik- und Tanzgruppe Simonga aus dem Volk der Tonga am Kariba-See an dem oberösterreichischen Festival der Regionen. 1999 Roland Neuwirth mit seinen Extremschrammeln auf Kap Verde, gemeinsame Auftritte mit der Gruppe Simentera. 2000 die steirischen Musiker deishovida in Uganda. Solche künstlerischen Begegnungen sind eine sinnvolle Sache, weil auf gleichrangiger Ebene ein partnerschaftlicher Austausch möglich ist. Persönliche Erfahrungen verstärken den Respekt vor anderen künstlerischen Ausdrucksformen und das Selbstbewusstsein der Partner. Markus Binder, Teil des Attwenger-Duos, sagte nach ihrer Tour: "Übe Respekt, halte dich zurück und schaue dir an, was da passiert ... nicht immer gleich glauben, mit dem europäischen Schädel verstehst du alles." Oder Akkordeonspieler Lothar Lässer von deishovida: "Afrikanische Musik ist nicht nur Rhythmus, sie ist eine sehr subtile Angelegenheit, auch melodisch. Wir haben viel gelernt, das bei uns weiterleben wird."
- "Sura za Afrika": 1996 wurde in Österreich ein Musik-Tanz-Theater-Medien-Festival organisiert. Die Veranstaltungen mit rund 300 afrikanischen KünstlerInnen, JournalistInnen und WissenschaftlerInnen wurden von über 70.000 Personen besucht.
Mit solchen medienwirksamen Ereignissen können schiefe Bilder - wie jenes vom "Krisenkontinent Afrika" - etwas zurechtgerückt werden, wenngleich eine Evaluierung des Festivals für die Zukunft eine stärkere Konzentration auf einzelne Länder oder Themen empfahl, um eine tiefergehende Auseinandersetzung zu ermöglichen.
- Kulturgütererhaltung: In Bhutan wird die Renovierung des Tongsa Dzong, einer alten bedeutenden Wehrburg, fachlich und finanziell unterstützt. In Nepal wurde der Patan Tempel in jahrelanger Kooperation wiederhergestellt und zu einem vielbeachteten Museum umgestaltet.
Kulturgüter sind für das Bewusstsein eines Volkes von großer Bedeutung. Deshalb wird auch von sehr armen Ländern viel Initiative in ihre Erhaltung gesteckt und die internationale Gemeinschaft um Unterstützung ersucht.
- Förderung sprachlicher Vielfalt: In Guatemala wird ein bilinguales Schulprogramm (an sechs Schulen in fünf Mayasprachen) gefördert. Damit sollen nicht nur Sprachen und Kultur der Mayavölker erhalten werden, es wird gleichzeitig ihre gesellschaftliche und politische Akzeptanz in der guatemaltekischen Gesellschaft unterstützt.
Alle diese Beispiele sind in ihrer Art sinnvoll. Gleichzeitig zeigt sich, dass in der ÖEZA in Bezug auf Kultur ein gewisser Wildwuchs herrscht. Er ist vornehmlich aus Engagement und Kontakten von Einzelpersonen entstanden.
An Kriterien einer systematischen Vorgehensweise, auch an der Verankerung im Sinne einer umfassenden Berücksichtigung von Kultur auf der gesamten Programmebene wird gearbeitet. Nicht allen Verantwortlichen - ob im Außenministerium oder auf Seiten von NGOs - ist dies ein Anliegen. Manche meinen sogar, die stärkere Berücksichtigung von Kultur behindere eine Verfolgung von Armutsbekämpfung und anderen "überlebensnotwendigen" Aufgaben. "Nachhaltige" Lösungen kann es aber ohne die Einbindung kultureller Gegebenheiten nicht geben. Das heißt keineswegs, dass eine Gesellschaft bei traditionellen Werten verharren muss. Lebendige Kultur entwickelt sich weiter. Grundlegend ist, dass Neues nicht über Bestehendes, Gewachsenes übergestülpt wird, ohne dass es für die Betroffenen die Möglichkeit der kritischen Auseinandersetzung und der Mitbestimmung gibt.
Allerdings besteht derzeit im Rahmen der ÖEZA die Gefahr, dass Einsparungsmaßnahmen zuerst jene Bereiche treffen, die wie die umfassende Berücksichtigung von Kultur noch keine fundierte Verankerung in den Köpfen und Programmen erfahren haben.
Ende der Serie