Vorurteile werden überwunden, indem man offen über sie spricht.
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Wien. Was heute gang und gäbe ist, war vor 20 Jahren noch revolutionär. Interkulturelle Kompetenz ist aus der Wirtschaft etwa nicht mehr wegzudenken, ein völlig neues Terrain war sie noch 1989, als das Interkulturelle Zentrum in Wien-Mariahilf gegründet wurde. Seit damals ist das Zentrum in der Bildungsarbeit tätig, unterstützt grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Schulen - mehr als 5000 Schulpartnerschaften auf der ganzen Welt wurden vermittelt - und treibt die internationale Jugendarbeit voran. Zum bereits 14. Mal findet dort der Lehrgang für interkulturelle Kompetenzen statt.
Die Sensibilität für die Wichtigkeit dieses Know-hows ist seit den 90er Jahren gestiegen. Früher seien die Menschen nur aus Interesse gekommen, "jetzt kommen Leute, die sagen: Ich brauche das Wissen für meinen Beruf", erzählt die Kultur- und Sozialanthropologin Marie Steindl, die den Lehrgang leitet. Die Zielgruppe des Lehrgangs ist breit: Pädagogen, sozial aktive Personen oder Persönlichkeiten aus der Wirtschaft zählten bisher zu den Teilnehmern.
Obwohl heute interkulturelle Kompetenz in aller Munde ist, weiß nicht jeder, worum es eigentlich dabei geht. Neben Wissen über rechtliche und politische Fragen, das auch durch Bücher erwerbbar ist, gehörten ebenso Haltungen und Fähigkeiten dazu, betont Steindl: "Zu Haltungen kommt man über Diskussionen. Manche Teilnehmer wollen zum Beispiel eine klare Haltung zum Kopftuch finden." Auch Einstellungen zu Diskriminierung und interkulturellen Konflikten seien relevant. "Das ist nicht über Bücher vermittelbar, sondern nur durch Diskurse und Auseinandersetzung."
Ehemalige Teilnehmer schätzen vor allem die Möglichkeit, sich in einem geschützten Raum mit ihren eigenen Vorurteilen auseinandersetzen zu können. "Es ist ein Freiraum, in dem man seine eigenen Vorurteile aussprechen und diskutieren kann", meint etwa Eva Simsic, die im Beruflichen Rehabilitationszentrum arbeitet. Eine Folge sei auch, den Stellenwert der Kultur geringer einzuschätzen als bisher. "Es geht nicht immer gleich um die Herkunft", meint Simsic.
Auch Personen, die in ihrem Beruf permanent mit Interkulturalität konfrontiert sind, betonen, dass ihnen gerade diese Selbstreflexion geholfen hat. Safah Alga, der sich sich beim Verein Juvivo der "aufsuchenden Kinder- und Jugendarbeit in Wien" widmet, hält fest: "Ich habe über meine eigene kulturelle Identität reflektiert und mich so von meinem Ethnozentrismus verabschiedet."
Darauf legt auch Marie Steindl wert: Über die offene Auseinandersetzung trete oft zutage, dass viele Kultur für eine klar umrissene, unveränderliche Sache halten. Oft würden Werte, Traditionen oder Lebensart als charakteristische Elemente genannt werden. "Aber was ist eigentlich die Wiener Art?", fragt sie. "Die Kultur- und Wertedebatte in Deutschland ist gescheitert." Unklarheiten gebe es hier auch in der Wissenschaft: "Es gibt mehr als 500 verschiedene Definitionen von Kultur." Kultur sei eben permanent im Wandel.
Durch die interkulturelle Bildung würden gewisse Klischees aufgebrochen werden. So könne man Kultur auch nicht nur - wie es meistens der Fall ist - im Zusammenhang mit Ethnizität sehen. Es gebe auch Frauen- und Jugendkulturen. Ein fixes Verständnis von Kultur könne auch beim Lösen von Konflikten wenig helfen - etwa, wenn ein Streit zwischen einem Serben und einem Türken ausbricht. "Soziale Dinge sind hingegen veränderbar", erzählt Steindl. Hier könne man ansetzen.
Es gibt eben verschiedene Dimensionen unserer Identität, die sich miteinander vermischen. "Manche Zugehörigkeiten können in einem bestimmten Kontext wichtiger sein, in einem anderen aber gleichgültig sein." Nicht nur, ob jemand Muslim oder Türke ist, sei relevant, sondern eben auch soziale, politische Fragen.
Kulturalistische Fixierungen würden von den Jugendlichen oft übernommen werden, erzählt Steindl. "Sie sagen dann: Wir sind hier aufgewachsen, trotzdem werden wir auf der Straße als Ausländer behandelt und von der Polizei ständig angesprochen. So werden sie nicht zum Teil der Wir-Gruppe." Die entstehenden Gruppenbildungen seien ein Spiegel der Gesellschaft. Unbewusste Vorurteile, die das verstärken, können beim Kurs offen angesprochen werden: "Ab wann ist man Österreicher? Wenn man die österreichische Staatsbürgerschaft hat. Doch warum sprechen wir dann von Neo-Österreichern?"
Unsicherheit überwinden
Zu den erlernbaren Fähigkeiten gehöre etwa der Perspektivenwechsel, der es einem ermögliche, sich mit Empathie der Perspektive einer anderen Person einzufügen. Auch der Umgang mit der eigenen Unsicherheit zähle dazu, etwa wenn die Menschen um einen herum eine andere Sprache sprechen. In Schulen, wo 80 Prozent der Kinder nicht-deutscher Muttersprache sind, kann das schon passieren.
"Die vielen Fallbeispiele haben mir sehr geholfen", erzählt Sonja Irmgard Weghaupt, eine ehemalige Kursteilnehmerin, die als Gleichstellungsbeauftragte bei der Unternehmensberatung "Die Berater" tätig ist. Ihr Umgang mit anderen sei sicherer geworden. "Man lernt, dass es keine goldenen Rezepte gibt, wohl aber eine Orientierung." Kulturelle Missverständnisse, die sie selber schon in ihrer Beratertätigkeit erlebt hat, könne sie jetzt früher aufklären.
Marie Steindl hält fest: "Der Umgang mit Bildung braucht Begleitung und Moderation. Wie geht man mit Vielfalt um?"