Das Budget fließt zum großen Teil in die Revitalisierung der alten Stadt.
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"Guimarães? - Da fährt doch keiner hin", sagt die freundliche Dame in der Reisebuchhandlung, davon hat doch noch nie jemand gehört. Und außerdem weiß man doch nicht einmal, wie man das aussprechen soll . . . !
Also: Ausgesprochen wird es "Gimaraisch" mit Betonung auf der letzten Silbe, aber Ausländermassen begegnet man in dem Vorortezug, der einen von Porto in die (neben Marburg zweite) Kulturhauptstadt Europas 2012 bringt, tatsächlich nicht. Dabei hätte sich der neue Status der portugiesischen Kleinstadt doch schon herumsprechen müssen, schließlich geht das epochale Event bereits in seinen vierten Monat und seine zweite Saison ("Eine Zeit zu schaffen").
Wenig Lust auf Selbstdarstellung
Es muss wohl am Charakter der Stadt und der Einstellung seiner Einwohner liegen: Denn ein großer Wille zur Selbstdarstellung scheint hier nicht gegeben zu sein, eine wie immer geartete Ambition, den Ort in nachhaltiger Weise auf die touristische Landkarte zu platzieren, schon gar nicht.
Fremdsprachen? - Fehlanzeige. Besucher? - Reichen doch die am Wochenende. Die Guimaraner genügen sich irgendwie selbst. Bereits in den 90er Jahren hatte man ja schon mit der behutsamen Erneuerung des desolaten und heruntergekommenen mittelalterlichen Altstadtkerns begonnen, was schließlich zu seiner Anerkennung als Unesco-Weltkulturerbe geführt hat. Vor allem auch das proklamierte Augenmerk auf gleichzeitige Bewahrung nicht nur der architektonischen, sondern auch der sozialen Struktur dürfte wirklich funktioniert haben: kein Disneyland, kein Bobo-Ghetto. Und so setzt man im Kulturhauptstadtjahr einfach dort fort, wo man zuvor angefangen hat, und verwendet einen Großteil des 111-Millionen-Euro-Budgets statt für "Signalbauten" und "Volksfeste" eher für den Hausgebrauch.
Also wird die Revitalisierung intensiviert, zum Beispiel mit der Neugestaltung der Almeidagärten und des Hauptplatzes "Toural" (wobei allerdings die Installierung eines 80 Meter langen goldenen Balkongitters als "dekorativem Akzent" auf einigen Widerstand stieß).
Dem nicht genug, wird auch das angrenzende, vom Einsturz bedrohte alte Gerberviertel Couros (das größte nach Fez) einer gründlichen Aufpolierung unterzogen. Außerdem macht man sich konzentriert an die Umwidmung zumindest einiger der hunderten stillgelegten Textilfabriken in Design- , Architektur-, Neue-Medien-, Galerien-, Wissenschafts- und Universitätszentren. Für das Ephemere bleiben dann naturgemäß - bis auf die unvermeidlichen und abgelutschten Eventmultis Fura dels Baus - nicht mehr so viel Leidenschaften und Ressourcen übrig.
Für den Zugereisten ist das natürlich zuerst einmal bedauerlich, weil halt nicht so viel los ist. Mit der Zeit genießt man jedoch die freundliche Reserviertheit der Bewohner, weil sich diese bodenständige Zurückhaltung letztlich auf die eigene Lebensqualität auswirkt. In jedem Fall beeindrucken aber dann der Stolz und die fast kindische Freude der Guimaraner über ihre neugewonnene gesamteuropäische Bedeutung. Während die Marburger ihrer Kulturhauptstadt großräumig auszuweichen, wenn nicht gar sie zu fliehen schienen, sieht man in Guimarães in nahezu jedem Geschäft das CEC-2012-Logo, ein leicht eckiges Herz.
Auch die Kirchenützt das Logo
Das Berührende daran ist, dass das nicht einfach von der Marketingabteilung zur Verfügung gestellte industriell vorgefertigte und ergo idente Herzen sind, sondern lauter individuelle, mit der Hand (und viel Liebe) hergestellte selbstgebastelte. Da finden sich in den diversen Auslagen also "Coracoes" aus Stoff, Korken, Mascherln, Feilen, Haarteilen, Blumen, Baumrinden, Gebäck, Baisers, Schokolade, Kaffeebohnen, Rasierklingen, Scheren, Landkarten, Fotos und, und, und. Was dem an sich etwas banalen PR-Slogan "Eu faz parte" (ich nehme daran teil) dann doch eine gewisse Authentizität verleiht. Witzig ist auch, dass sogar die lokale katholische Kirche auf den fahrenden Kulturhauptstadtszug aufzuspringen versucht und das Kürzel CEC (Capital Europeia da Cultura) in Cristo E Cultura umdeutet.
Wobei das im familiären guimaraeschen Zusammenhang gar nicht so an den Haaren herbeigezogen wirkt, denn hier klingen die Geräusche der Karfreitagsprozession (das Scheppern nachgezogener Kreuze, das Klirren metallverstärkter Robensäume inmitten des allgemeinen großen Schweigens) fast auch wie ein entferntes Echo der großen John-Cage-Ausstellung in der Kulturfabrik ASA.
Ein bis zwei Tage Aufenthalt in dieser reizenden, gut erhaltenen Kleinstadt, in der das normale Leben seinen normalen Gang geht, alte Männer an Hausecken causieren oder in Fünfzigerjahren-Cafés Fußball schauen, hat also durchaus seinen Charme.
Wer allerdings an einem längeren Verbleib und an handfesteren Attraktionen interessiert ist, tut gut daran, Guimarães vielleicht erst dann zu besuchen, wenn unter anderem die Plataforma das Artes (ein mit einer goldglänzenden Außenhaut überzogenes neues Kulturzentrum im revitalisierten alten Markt) oder die Casa da Memoria (ein interaktives Geschichtsmuseum angeblich neuen Typs) fertiggestellt sind oder das "Gil Vicente"-Festival (Portugals bedeutendstes Avantgardetheaterfestival) stattfindet.