Zum Hauptinhalt springen

Kulturwandel für die Polizei

Von Tobias Kurakin

Politik

Der jüngste Misshandlungsskandal legte strukturelle Probleme offen, für die sich Türkis-Grün viel vorgenommen hat.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Einige wenige Polizisten in Österreich sind noch auf dem Stand des 20. oder gar 19. Jahrhunderts", sagt Grünen-Sicherheitssprecher Georg Bürstmayr. Er spricht damit ein strukturelles Problem in der Exekutive an. Der Fall eines Tschetschenen, der im Zuge eines Kontrolleinsatzes ohne ersichtlichen Grund von Polizisten zusammengeschlagen wurde, illustriert eine alte Problemstelle innerhalb der Polizei.

Diese versuchte auch, den Vorfall unter die Decke zu kehren. Zwei Polizisten hatten zugeschlagen, vier Kollegen zugeschaut, nicht aber eingegriffen. Danach wurde der Vorfall pflichtwidrig nicht dokumentiert. Zwei weitere Beamte sollen sich zudem geweigert haben, die Anzeige des misshandelten Tschetschenen gegen die Polizisten, die ihn schlugen, aufzunehmen. Die Ermittlungen kamen in Gang, nachdem sich die Wiener Gebietskrankenkasse mit Regressforderungen für die Spitalsbehandlung des Mannes an die Wiener Landespolizeidirektion gewandt hatte.

Zunächst richtete sich der Fokus der Ermittlungen aber gegen den Tschetschenen selbst - aufgrund des Verdachts der Verleumdung. Erst eine Zeugenaussage und ein Video, das im Juni 2020 der "Kronen Zeitung" zugespielt wurde, entlasteten das Opfer und überführten die Täter. Sechs der beteiligten Polizisten wurden nicht rechtskräftig Mitte Juli zu zehn bzw. zwölf Monaten Haft verurteilt. Sie sind derzeit vom Dienst suspendiert.

Der Polizist, der zuerst die Hand gegen den Mann erhob, sprach vor Gericht über private Probleme, Übermüdung und Überstunden, die dazu geführt hätten, dass er "im Eifer des Gefechts" falsch gehandelt habe.

Erschreckend detailliert bildet der Vorfall genau jene Problemstellen ab, die die türkis-grüne Koalition eigentlich verhindern will. Im Sicherheitskapitel des Regierungsprogrammes findet sich demnach ein umfassender Plan für eine Polizeireform. Diese soll zum einen Fehler verhindern, sowie eine bessere Fehlerkultur sicherstellen. Das soll zum Beispiel mit mehr Supervision, besseren Dienstzeiten für Polizisten, mehr Diversität sowie einer Ausweitung der Zusammenarbeit mit NGOs geschafft werden. Außerdem soll eine Behörde installiert werden, die Missbrauchsvorwürfe gegen die Polizei unabhängig prüft.

Neue Lösungsansätze fürein altes Problem

Bereits 2008 plante die damalige rot-schwarze Koalition, den Migrantenanteil in der Polizei zu erhöhen. Ein entsprechender Bericht vom Österreichischen Integrationsfonds von 2011 stellte überdurchschnittlich hohe Ausfallquoten von Bewerbern mit Migrationshintergrund in den Polizeischulen fest. Vier Jahre später suchte die Polizei dann dringend nach Personen aus arabischen und afrikanischen Ländern. Sie hätten bei der Flüchtlingswelle als Dolmetscher helfen sollen. Doch sowohl die politischen Pläne als auch die versuchte Personalrekrutierung scheiterten.

Um mehr Diversität innerhalb der Polizei zu schaffen, sei laut Bürstmayr der Vertrauensaufbau innerhalb der entsprechenden Communities entscheidend. Aufklärungsarbeit mithilfe von Medien und innerhalb spezifischer Zielgruppen sollen dafür sorgen, mehr Diversität in den Exekutivdienst zu bekommen. Die Erlaubnis, dass bei der österreichischen Polizei auch religiöse Symbole erlaubt werden, wie es beispielsweise in Schweden praktiziert wird, ist für Bürstmayr dagegen nicht zwingend Gegenstand der Diskussion: "Für mich geht es nicht so sehr darum, was eine Beamtin am Kopf, sondern viel mehr darum, was sie im Kopf hat."

Die Reformen sind breiter gedacht. Die türkis-grüne Koalition rückte die Polizei prominent und ausführlich in das 232 Seiten umfassende Regierungsabkommen. Unter dem Punkt "Gute Rahmenbedingungen für eine moderne Polizei" einigten sich Volkspartei und Grüne darauf, dass die Polizei als Abbild der Gesellschaft ethnische und geschlechtliche Diversität fördern soll.

Auf der Agenda steht außerdem die "Einrichtung eines beratenden Gremiums mit fachlicher, menschenrechtlicher, systemischer und organisationsentwicklerischer Fachkompetenz". Dieses soll unter anderem eben eine positive Fehlerkultur etablieren, aber auch ganz allgemein eine neue Kultur in der Polizei verankern. Ziel ist ein Erscheinungsbild der Polizei, das mehr von Vertrauen und Transparenz geprägt ist.

BVT-Umbau bremstReformen aus

Bisher sind diese Ideen und Projekte aber aufgrund der Reform des Verfassungsschutzes und der Corona-Pandemie in den Hintergrund gedrängt worden. Ein großes Ziel bleibt aber das Gremium, das für den Kulturwandeln in der Polizei sorgen soll. Die Gespräche dazu liefen bereits, berichtet der grüne Sicherheitssprecher Bürstmayr. Er sieht auch Kooperationsbereitschaft beim Innenminister: "Wenn man Karl Nehammers Reden im Parlament aufmerksam verfolgt, dann entsteht schon der Eindruck, dass er etwas verändern will." Der Innenminister antwortete auf Anfragen der "Wiener Zeitung" nicht, ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer weilt auf Urlaub. Auch er war nicht erreichbar. Aber Mahrer hatte sich bereits in seiner Dienstzeit als Landespolizei-Direktor von Wien für Reformen, die jetzt im Regierungsprogramm stehen, eingesetzt.

Bürstmayr plädiert im Sinne der Transparenz auch für verpflichtende Namensschilder bei Polizistinnen und Polizisten. Doch das Ziel nach mehr Transparenz scheitere oft noch an den Gewerkschaften, sagt der Grünen-Politiker, dies würde als "Vorwurf gesehen, man wolle die gesamte Polizei unter Generalverdacht stellen". Dies wäre aber die übliche Begleitmusik bei geplanten Erneuerungen, sagt Bürstmayer. Die Polizei-Gewerkschaft bestätigte gegenüber der "Wiener Zeitung" die Ablehnung von Namensschildern, wollte sich aber inhaltlich nicht näher dazu äußern.

Erste Fortschritte gab es bereits bei der Diversität innerhalb der Exekutive. Vor allem bei Frauen sei laut Bürstmayr schon ein großer Zuwachs zu beobachten. Um die Personaloffensive voranzutreiben und auch Personen mit Migrationshintergrund in den Dienst zu bekommen, brauche es jedoch eine umfassende Offensive.

Bürstmayr wird leicht sarkastisch: "Ein erster Schritt wäre gewesen, offene Stellen nicht mehr in rechtsextremen Zeitschriften zu inserieren." Unter Innenminister Herbert Kickl waren auch Stellenanzeigen im rechtslastigen "Wochenblick" geschalten worden. Die Möglichkeit von Quoten, die unter anderem in den Niederlanden 2011 eingeführt wurden, seien für Bürstmayr aber nicht zielführend, da ohnedies ein erheblicher Personalmangel herrsche. "Es ist die Aufgabe, die Polizei als Arbeitgeber attraktiver zu machen, ein erster Schritt hierbei wäre vor allem, jenen jungen Polizisten, die sich täglich Gefahren aussetzten, mehr Gehalt und mehr Planungssicherheit zu geben."

Im Regierungsprogramm habe man sich darauf geeinigt das Berufsbild des Polizisten familienfreundlicher zu machen. Vor allem in den ersten Dienstjahren ist der Beruf des Polizisten durch ungeregelte Dienstzeiten und steile Hierarchien unpopulär. Entsprechende dienstrechtliche Reformen obliegen dem Innenministerium.