Kein Streik in der Luftfahrt mehr: Ein neues türkisches Gesetz beunruhigt Abgeordnete im Europäischen Parlament.
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Die Kündigung kam per SMS. Einige Zeit kursierten Bilder davon im Internet. In tadellosem Amtstürkisch wurde darin den Angestellten mitgeteilt, dass ihr Arbeitsvertrag aufgrund der "illegalen Teilnahme" an einem Streik ohne Abfindung aufgelöst wird. Eine Bestätigung der Firma, dass die Kündigung nur auf diese Art ausgesprochen wurde, gab es zwar nicht. Doch Tatsache ist, dass mehr als 300 Mitarbeiter der Turkish Airlines, des viertgrößten Flugfahrtunternehmens in Europa, ihren Job verloren haben.
Wogegen sie gestreikt hatten, war die Einschränkung ihres Streikrechts. Die Gewerkschaft Hava-Is hat zum Protest gegen die Pläne der Regierung aufgerufen, jeglichen Ausstand in der Flugfahrt zu verbieten. Mehrere hundert Menschen folgten dem Ruf vor gut zwei Wochen. Vor allem auf dem Istanbuler Flughafen Atatürk kam es dadurch zu Beeinträchtigungen. Turkish Airlines klagte danach über einen Verlust von zwei Millionen US-Dollar (knapp 1,6 Millionen Euro). Die Fluglinie musste an die 200 Inlands- und Auslandsflüge streichen; mehr als 100.000 Passagiere hätten das zu spüren bekommen.
Die Kündigungen erfolgten prompt. Fast am gleichen Tag, als das Parlament in Ankara mit den Stimmen der Regierungspartei AKP den Gesetzesentwurf annahm, der Streiks im Luftverkehr verbietet. Turkish Airlines solle weiterhin weltweit expandieren und so zum Wirtschaftswachstum beitragen können - ohne Behinderungen durch Gewerkschaften, hieß es aus Kabinettskreisen. Immerhin sei die Luftfahrt von "strategischer Bedeutung", argumentierte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. In diesem Sektor hätten die Mitarbeiter nicht das Recht, ein ganzes Land die Kosten dafür tragen zu lassen, dass die Angestellten jedes Mal die Arbeit niederlegen, wenn ihnen irgendetwas nicht passe. Gerade die Gewerkschaft Hava-Is hatte im Zuge von Tarifverhandlungen immer wieder zu Protesten aufgerufen.
Das Streikverbot beunruhigt nun auch EU-Abgeordnete. Zwei sozialdemokratische Mandatarinnen, Evelyn Regner und Jutta Steinruck, haben deswegen diese Woche eine dringende schriftliche Anfrage an die EU-Kommission gestellt. Sie wollen wissen, wie die Behörde die Vorgänge beurteile und ob sie gedenke, "aufgrund der wiederholten massiven Verletzungen von Gewerkschaftsrechten" mehr Druck als bisher auf die Türkei auszuüben.
Die Stärkung der Rechte von Arbeitnehmern gehört aber nicht unbedingt zu den Prioritäten der türkischen Regierung. Und auch wenn in den vergangenen Jahren - nicht zuletzt wegen Vorgaben aus der Europäischen Union - per Gesetz zahlreiche Verbesserungen angeordnet wurden, so ändert das an den tatsächlichen Arbeitsverhältnissen etlicher Menschen wenig. Viele von ihnen, vor allem Frauen, die schlecht bezahlte Jobs ausüben, haben keinerlei soziale Absicherung. Ähnliches gilt für vielleicht hunderttausende Wanderarbeiter, die Obst und Gemüse auf den riesigen Feldern im Süden der Türkei ernten. Die meisten von ihnen dürften Streik nur als Schlagwort kennen - und das Recht darauf unter Umständen gar nicht.