Die Situation behinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt scheint sich im Vergleich zum Durchschnitt zu verschlechtern. Absolut ist die Zahl behinderter Arbeitsloser seit 1999 von 40.000 auf 30.000 zurückgegangen. Im Juli des Jahres 2000 waren jedoch 20,6 Prozent der Arbeitslosen behindert, im Jahr zuvor 19,6 und im Jahre 1998 16,3 Prozent. Somit hat die Novelle des Behinderteneinstellungsgesetzes noch nicht die gewünschten positiven Auswirkungen.
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Der bisher recht weitgehende Kündigungsschutz, von manchen als Hemmnis für eine feste Anstellung empfunden, wurde im Rahmen der Neuregelung deutlich abgeschwächt. Jetzt beginnt jedes Dienstverhältnis mit einer dreimonatigen Probezeit. Danach darf nur noch mit Zustimmung des Behindertenausschusses gekündigt werden.
Nach Ansicht des Unternehmers Gerd Seliger*, dessen Firma in Wien Hilfsmittel für Blinde entwickelt und produziert, hat der Kündigungsschutz dazu geführt, dass viele Unternehmen der Einstellung Behinderter skeptisch gegenüberstehen. "Nach unserer Erfahrung gibt es hier, wie auf dem gesamten Arbeitsmarkt, einen gewissen Anteil schwarzer Schafe. Wenn Unternehmen mit diesen Mitarbeitern schlechte Erfahrungen machen, sind alle die Leidtragenden." Die eingangs genannten Zahlen bestätigen diese Tendenz auf dem Arbeitsmarkt.
"Mythos" Unkündbarkeit?
Magdalena Fuhrmann, die das ABAk-Projekt zur Berufsintegration behinderter Akademiker koordiniert, hält die Ängste der Unternehmer jedoch für unbegründet: "Als Grund, Mitarbeiter mit Behinderungen nicht einzustellen, wird von Unternehmerseite oft die arbeitsrechtliche Sonderstellung genannt. Der Mythos von der Unkündbarkeit von Arbeitnehmern mit Behinderungen konnte leider noch immer nicht beseitigt werden."
Tatsächlich gibt es keine Bestimmung, nach der man einen behinderten Mitarbeiter nicht kündigen dürfe. Dies würde auch der Forderung nach arbeitsrechtlicher Gleichstellung widersprechen. Tatsächlich gestaltet sich die gesetzliche Vorgabe in der Praxis so, dass der Unternehmer zunächst die Zustimmung zur Lösung des Beschäftigungsverhältnisses bei einem Ausschuss des Bundessozialamtes beantragen muss. In Abhängigkeit davon, ob dieser Ausschuss im Vorfeld durch den Arbeitnehmer oder durch den Arbeitgeber über den Charakter des Arbeitsverhältnisses informiert wurde, kann es zu Entscheidungen kommen, die nicht zur Zufriedenheit aller Beteiligten ausfallen.
Der Ansicht Magdalena Fuhrmanns, in der Praxis sei der Kündigungsschutz behinderter Mitarbeiter ein "Mythos", hält Walter Zeiler, Leiter der sozialpolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer Wien, entgegen, dass viele Betriebe zwar der Einstellung Behinderter grundsätzlich positiv gegenüberstehen, die rechtlichen Rahmenbedingungen jedoch durchaus kritisch beurteilen. Von vielen Firmen wird die Tatsache, dass Kündigungen von einem Ausschuss genehmigt werden müssen, als Hindernis für eine Einstellung angesehen. "Wir wissen von Fällen, wo der gesetzliche Schutz über Gebühr in Anspruch genommen wurde. Daher sollte man den Kündigungsschutz in seiner jetzigen Form überdenken, denn viele Unternehmen schrecken davor zurück, einen Behinderten einzustellen, der nach einiger Zeit faktisch den Status eines Pragmatisierten hat." Auf die dreimonatige Probezeit angesprochen, schlägt Zeiler vor, über eine Verlängerung der Probezeit auf sechs Monate nachzudenken. "Aber auch die jetzige Regelung sehen wir positiv."
Aus dem Bundessozialamt war zu erfahren, dass sogar seitens der betroffenen Arbeitnehmer die Überlegung geäußert wurde, für eine Lockerung des Kündigungsschutzes einzutreten, da er sich als Hemmschuh für den Arbeitsmarkt erwiesen habe. Andere wiederum plädieren stark für seine Beibehaltung, und auch unter den Unternehmern gibt es verschiedene Standpunkte. Ein Konsens lässt sich lediglich in der allgemeinen Überzeugung orten, dass Behinderte in angemessener Weise in das Berufsleben zu integrieren sind. Walter Zeiler bemerkt, dass die Betriebe grundsätzlich zu Einstellungen bereit sind. Die Feststellung von Gerd Seliger, die Wirtschaftskammern würden bereits davor warnen, Behinderte einzustellen, wird dementiert: "Gegenüber ratsuchenden Unternehmen äußern wir unsere grundsätzlich positive Einstellung. Wir weisen jedoch auch sachlich darauf hin, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen vorhanden sind und wie sie sich in der Praxis auswirken."
Negative . . .
Wenn die Motivation von Arbeitgebern zur Beschäftigung behinderter Menschen sehr vielschichtig ist, müssen traditionelle arbeitsmarktpolitische Instrumente in Bezug auf ihre Wirksamkeit überdacht werden, schreiben Kai Leichsenring und Charlotte Strümpel in ihrem Buch "Berufliche Rehabilitation und soziale Integration - Problembereiche und Entwicklungstendenzen". Wenn Betreuung sich nicht allein auf behinderte Arbeitnehmerinnen bezieht, sondern die betrieblichen Prozesse und Interaktionen berücksichtigt, so kann damit Normalisierung eher erreicht werden als durch abstrakte gesetzliche Ge- und Verbote.
Gerd Seliger sieht die Berücksichtigung seiner unternehmerischen Situation nicht gegeben. "Von den elf behinderten Mitarbeitern, die wir in den letzten Jahren eingestellt haben, konnten wir fünf nicht gebrauchen. Drei hingegen arbeiteten vorbildlich mit. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass manche Mitarbeiter sehr genau über ihre Rechte informiert waren." Die Hauptprobleme sieht Seliger im Missbrauch des Krankenstandes sowie in der Verzögerung von Arbeitsprozessen. Seiner Ansicht nach sind fleißigere Mitarbeiter die Leidtragenden, da sich der Rückgang der Einstellungen auf sie auswirkt, obwohl sie an den Ursachen nicht beteiligt sind.
. . . und positive Erfahrungen
Franziska Riha, Leiterin des Humanprogramms bei der Firma bauMax, hat bessere Erfahrungen gemacht. Hier liegt die derzeitige Zahl behinderter Mitarbeiter bei 68, wovon lediglich drei Mitarbeiter zu den schwarzen Schafen gehören. Diese Quote ist im Vergleich mit dem Gesamtarbeitsmarkt als ausgesprochen niedrig anzusehen. Dieta Glück-Linzer, die als Sozialarbeiterin diverse Integrationsprojekte in Süddeutschland koordiniert hat, berichtet von lediglich zwei Fällen bei dreiundzwanzig Mitarbeitern, wo es Anlass zur Unzufriedenheit gab. "Es ist auch zu berücksichtigen, inwieweit die Firmen überhaupt qualifizierte Arbeitsplätze anbieten wollen."
Die geschilderten Befürchtungen bestätigen sich also nicht in Bezug auf Fleiß und Leistung, sondern sind jeweils am konkreten Fall festzumachen: Wenn eine Firma mit einem bestimmten Mitarbeiter unzufrieden ist und ihn nicht kurzerhand entlassen kann, entsteht Unmut. Franziska Riha: "Auch wenn wir mit einem sehr großen Teil behinderter Mitarbeiter sehr zufrieden sind, haben doch die schlechten Erfahrungen zu einem sehr negativen Echo geführt, das einen Rückgang der Einstellungen bewirkt hat." Das Unternehmen sichert sich nun dadurch ab, alle neuen Dienstverhältnisse zunächst auf ein Jahr zu befristen. "Dadurch fallen zwar die Förderungen weg, aber die wurden zuvor ohnehin schon deutlich reduziert." Auf ihre grundsätzliche Einstellung angesprochen, meint Frau Riha, dass auch schlechte Erfahrungen nicht dazu führen sollen, die Sache insgesamt abzulehnen.
Dass bei einem Unternehmen wie bauMax ein so verschwindender Anteil ungeeigneter Mitarbeiter dazu führt, dass doch recht weitreichende Konsequenzen gezogen werden, erscheint zunächst wie eine negative Folge. Wenn dadurch jedoch gewährleistet wird, dass das Unternehmen der Einstellung Behinderter weiterhin aufgeschlossen gegenübersteht, scheint sowohl dem Arbeitgeber wie auch dem Arbeitnehmer gedient zu sein. "Wer sich am Arbeitsplatz verstellen will, kann das kaum so lange durchhalten. Wir messen einer guten Mitarbeiterführung hohen Wert bei," sagt Franziska Riha, die sich in der Vergangenheit sehr intensiv für das soziale Engagement des Unternehmens eingesetzt hat. Beispielsweise spendete bauMax zuletzt zweihundert Lampen sowie andere Einrichtungsgegenstände an ein Kinderheim in Rumänien.
"Behindertenmilliarde"
Mit einer "Behindertenmilliarde" soll nun seitens der Regierung die Integration auf dem Arbeitsmarkt weiter forciert werden. Ziel ist es, achttausend Menschen durch Unterstützungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Dabei hat die Regierung vor allem die Tatsache im Auge, dass die Arbeitslosigkeit unter Behinderten langsamer zurückgeht als am gesamten Arbeitsmarkt. Sowohl in Österreich als auch in der Europäischen Union will man steuernde Maßnahmen für behinderte Menschen so lange setzen, bis die Integration in Gesellschaft und Berufsleben umfassend gesichert ist. Zur Umsetzung der Initiative hat man sich vorgenommen, Anreize zur Aufnahme Jugendlicher in den ersten Arbeitsmarkt und Betreuungsangebote zu schaffen. Daneben sollen bestehende Arbeitsverhältnisse abgesichert und Fortbildungen angeboten werden. Behinderungsspezifische Qualifizierungs- und Beschäftigungsprojekte sollen verstärkt werden, während auch Hilfe bei der Gründung selbständiger Erwerbstätigkeit auf dem Programm steht. Begleitende Maßnahmen sollen ein positives Bild behinderter Menschen in der Öffentlichkeit verbreiten und die Bereitschaft von Unternehmen fördern, behinderte Menschen einzustellen.
Der Imagekampagne kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Wenn es gelingt, bei Unternehmen die diffusen Ängste zu vermindern, die sehr zu Lasten arbeitswilliger behinderter Menschen gehen, ist für die Integration am Arbeitsmarkt bereits eine Menge getan. Durch eine Prüfung der vorhandenen Steuerungsinstrumente kann die Möglichkeit geschaffen werden, behinderte und nichtbehinderte Menschen faktisch gleichzustellen und insbesondere ein Gegengewicht für schlechte Erfahrungen zu schaffen, die mit einzelnen gemacht wurden. Insgesamt wird es weiterhin wichtig sein, diese Schritte im laufenden Dialog aller Beteiligten zu erwägen und damit ein Ziel anzusteuern, das im Grundsatz längst den Konsens der Gesellschaft gefunden hat.
*) Name geändert