Der Beitritt der nächsten zehn EU-Staaten ist noch nicht unterschrieben, da wird schon diskutiert, wie ein Land wieder austreten kann. In der künftigen Verfassung, für die der EU-Reformkonvent bis Ende Juni einen Entwurf vorlegen will, soll klar geschrieben stehen: "Jeder Mitgliedstaat kann unter Einhaltung seiner internen Verfassungsvorschriften beschließen, aus der Europäischen Union auszutreten."
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Für Belgiens früheren Regierungschef Jean-Luc Dehaene ist es Zeit für eine solche Austrittsklausel: nicht, weil der Vizepräsident des Konvents kein überzeugter Pro-Europäer ist, sondern weil er zunehmenden Sorgen von Europa-Skeptikern Rechnung tragen will.
Eigentlich ist ein Austritt schon auf Basis bisheriger Vorschriften möglich, wie das Beispiel Grönland zeigt. 1973 als Teil Dänemarks der EU beigetreten, verließ es zum 1. Februar 1985 die Gemeinschaft. Dies hatte die Mehrheit der Inselbewohner bei einem Referendum zwei Jahre zuvor gefordert. Es war der bisher einzige Austritt seit die "Gemeinschaften" für Kohle und Stahl (1951), Verteidigung (1952) sowie Wirtschaft und Atomenenergie (1957) gegründet wurden.
Heute sieht Dehaene in einer Reihe von Ländern die Diskussion über Vor- und Nachteile einer EU-Mitgliedschaft wieder aufleben. Eine eindeutige Austrittsklausel soll den Kritikern deshalb das psychologisch wichtige Signal geben, nach dem Beitritt nicht gegen den Willen eines Landes in der EU bleiben zu müssen.
Allzu einfach kann es den austrittswilligen Ländern aber nicht gemacht werden, weil davon viele gegenseitige Rechte und Verpflichtungen berührt sind. Das Konventspräsidium unter dem Vorsitz des französischen Ex-Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing hat deshalb Regeln vorgeschlagen. So soll der Mitgliedstaat, der seinen Austritt beschließt, darüber mit der EU ein Abkommen aushandeln. Wenn die anderen Länder diese Vereinbarung, beispielsweise den weiteren Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt, beraten und mit Mehrheit beschließen, soll der betroffene Staat nicht dabei sein.
Einig über die Bedingungen sollen sich die Gemeinschaft und das ausscheidende Land innerhalb von zwei Jahren werden. Wenn nicht, soll die Mitgliedschaft ersatzlos verfallen. Weil dies auch für zahlreiche Vorteile gelten könnte, soll eine feste Frist die abschiedswilligen Länder dazu motivieren, mit den übrigen Staaten im Guten auseinander zu gehen.
Bei den Euroskeptikern im Konvent ist der Vorschlag für eine Austrittsklausel nicht nur auf Gegenliebe gestoßen. Solche Regeln bedeuteten, dass die EU die Bedingungen für den Austritt "diktieren" würde, bemängelte der tschechische Parlamentsvertreter, Jan Zahradil. Damit würde das Land gegenüber den anderen Mitgliedern benachteiligt. Sei ein Land zum Zeitpunkt seine Austritts beispielsweise auch Mitglied der Eurozone, werde es seine Devisenreserven und sein Zentralbank-Gold wohl nie wieder sehen, kritisierte Zahradil bei der jüngsten Plenarsitzung.
Die Austrittsklausel ist nur eines von vielen Streitthemen, die der Konvent bis zur Sommerpause lösen will. Besonders strittig sind die Vorschläge, die zusätzliche EU-Kompetenzen vorsehen, auch wenn sich im Fall der Einwanderungs- und Asylpolitik inzwischen eine Mehrheit für eine stärkere "Vergemeinschaftung" abzeichnet. Weit auseinander liegen vor allem die Vorstellungen über die künftige "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik", die bisher diesen Namen kaum verdient. EU-Kommissar Michel Barnier verwies jüngst wieder auf das Beispiel Irak, "wo wir wieder mit dem Rücken an der Wand stehen."
Dabei hätten schon die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien gezeigt, dass sich Europa entscheiden müsse, entweder auf den Zuschauerbänken oder aber auf der Bühne stehen zu wollen, mahnte Barnier in Brüssel. Der Streit darüber werde nicht zwischen großen und kleinen oder zwischen alten und neuen Mitgliedstaaten geführt, sagte der Kommissar ohne Nennung von Namen. Dies hänge davon ab, "ob man europäische Ambitionen verfolgt oder ob es daran mangelt."