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Kunst schafft Toleranz

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Der Song Contest und die Gluck-Oper "Orfeo ed Euridice" bei den Wiener Festwochen hatten - ganz unterschiedlich - eine gemeinsame Botschaft: Kunst kann Toleranz schaffen. In beiden Veranstaltungen ging es um den Bruch vermeintlicher Tabus. Conchita Wurst zeigte, dass die europäische Öffentlichkeit Lebensentwürfen aufgeschlossener gegenübersteht, als viele Politiker uns weismachen wollen.

Und die Idee der Wiener Festwochen, eine Wachkoma-Patientin zur Hauptfigur der Oper zu machen, bewies, dass Menschen mit schwerer Behinderung nur eine ausgeblendete Form von Normalität sind.

Die jeweiligen Reaktionen des Publikums wiederum förderten eine Akzeptanz zu Tage, die weit über dem Mut von Politikern anzusiedeln ist. Am treffendsten formulierte es André Heller im ORF: Nicht Conchita Wurst ist eine Kunstfigur, sondern Politiker sind es, die keine Standpunkte mehr haben. Das Interessante daran ist, dass es (wenn auch recht verschiedene) Kulturprojekte sind, die den Toleranzbegriff erweitern und nicht länger die Politik.

Da Letztere immer mehr zum Systemverwalter verkommt, vergrößert sich in der Kunst die Dimension des gesellschaftlichen Fortschritts. Die enttäuschten Reaktionen von Rechtsaußen-Politikern legte deren Furcht offen, ihre Felle der Engstirnigkeit könnten davonschwimmen. Die Parteien der politischen Mitte hatten bisher kein Rezept gegen deren Destruktion gefunden.

Kulturpolitik hat immer auch gesellschaftliche Strömungen befördert. Da sich die Politik geistig einengt, treten Kulturschaffende aus ihrem ästhetischen Korsett und machen Politik.

Nicht im Sinne von Tagespolitik, sondern mit dem Verweis auf das Streben nach Glück, das jedem Menschen zusteht. Niemand hat das Recht, dieses Streben zu unterbinden, auch ein Staat hat es nicht. Das formulierten bereits die Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika in der Unabhängigkeitserklärung 1776.

Nun sind es erneut Inszenierungen, die solche Grundsatzdebatten anstoßen - und die sogenannte Zivilgesellschaft reagiert darauf mit erstaunlicher Offenheit.

Ob und was die hauptberuflichen Politiker davon lernen, sei dahingestellt. Vielleicht würde es ja schon helfen, wenn sich mehr von ihnen häufiger mit Kunst beschäftigten. Denn angeblich ist ja auch Politik eine Kunst.