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Künstlich ernährt - Rechtlich bedenklich?

Von Matthias G. Bernold, Weißenbach

Wirtschaft

Seit Mitte der 90er-Jahre versuchen Schubhäftlinge verstärkt sich freizupressen, indem sie in Hungerstreik treten. Geht es nach dem neuen Fremdenrechtsentwurf, der nächste Woche als Regierungsvorlage beschlossen werden soll, könnte dies in Hinkunft mittels Zwangsernährung verhindert werden.


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Dreimal im Monat verweigert ein Strafgefangener in der Justizanstalt Josefstadt ("Landl"), Österreichs größtem Gefängnis, die Essensaufnahme. So berichtet es Roland Miklau, Sektionschef im Justizministerium, am Rande der Juristen-Tagung in Weißenbach. Trotzdem, beteuert er gegenüber der "Wiener Zeitung" , habe es in den letzten 40 Jahren keinen einzigen Fall von Zwangsernährung mehr gegeben. Man verfolge seit Jahren eine Demotivationsstrategie. "Wir versorgen die Person mit Flüssigkeit, es gibt psychologische Gespräche - als Ultima ratio gelangen Hungerstreikende ins Spital, wo ihnen Astronautennahrung oder intravenöse Ernährung angeboten werden." Gegen seinen ausdrücklichen Willen werde aber niemand ernährt. Dies, obwohl das österreichische Strafvollzugsgesetz (ebenso wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte) eine Zwangsernährung von Strafgefangenen unter eng umrissenen Voraussetzungen zulässt (§69 StVG).

Gefangene Straftäter ließen sich relativ einfach vom Hungerstreik abbringen, weil sie "die Ausweglosigkeit ihrer Situation kennen", glaubt Miklau. Anders die Situation bei Schubhäftlingen: "Es war immer Grundsatz der Schubhaft, Personen nur so lange festzuhalten, wie sie haftfähig sind. Wer schwer krank wurde, sich verletzte oder durch Hungerstreik in einen lebensbedrohlichen Gesundheitszustand brachte, den ließen wir gehen," erläutert Wolf Szymanski, bis 2002 im Innenmnisterium für Asyl- und Migrationsangelegenheiten zuständig, "somit waren wir erpressbar".

Seit Mitte der 90-Jahre tritt das Problem der Hungerstreiks gehäuft auf. Laut SOS Menschenrechte gab es 2003 778 angekündigte Hungerstreiks, 347 Schubhäftlinge seien dadurch freigekommen. Nach 776 Hungerstreikmeldungen im Vorjahr berichtet die Schubhäftlinge betreuende NGO von 362 Entlassungen. Ganz andere Zahlen lanciert das Innenministerium: Dort spricht man von 1.072 Hungerstreiks im Jahr 2004.

Bestrebungen, hungerstreikende Schubhäftlinge in Justizanstalten zu überführen, um sie dort gegebenenfalls künstlich zu ernähren, erachtet Heinz Patzelt von Amnesty International als "schwere Menschenrechtsverletzung". Was bei Schwerverbrechern nach genauer Prüfung des Einzelfalls legitim sein könne - "es ist Aufgabe des Staates zu verhindern, dass sich ein Straftäter vor den Augen des Gesetzes umbringt" - sei bei Schubhäftlingen völlig unverhältnismäßig und verfassungswidrig. Schubhäftlinge würden v.a. wegen der inferioren sozialen Bedingungen in den Wiener Anhaltelagern in Hungerstreik treten: "Weil sie 23 Stunden des Tages in einer Zelle verbringen, weil sie keine Beschäftigung haben."

Miklau und Szymanski bestätigen, dass es im gelockerten Vollzug Westösterreichs kaum Hungerstreiks gibt. Patzelt fordert daher, die sozialen Bedingungen der Schubhaft zu verbessern und die Asylverfahren zu beschleunigen: "Schubhäftlinge zwangsernähren ist hingegen wie mit einem Sturmgewehr auf einen Taschendieb zu schießen."