Erik Brynjolfsson, Professor für Informationsökonomie an der Stanford University, über den Nutzen von KI.
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"Wiener Zeitung": Der Untertitel Ihres Buches, das Sie gemeinsam mit Andrew McAfee geschrieben haben, lautete in der deutschen Ausgabe: "Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird". Diese digitale Revolution scheint sich immer mehr zu beschleunigen.Erik Brynjolfsson: In der Tat. Das passiert nun alles schneller, als wir uns das ursprünglich gedacht haben. In der ersten Welle, so um 2012, 2014, drehte sich alles um "Deep Learning". Diese Systeme waren vor allem in der Lage, Aufgabenstellungen zu lösen, in denen riesige Datenmengen verarbeitet werden mussten. Solche Tasks erforderten weniger Kreativität, sondern eher rohe Datenverarbeitungskraft. In der heutigen Welle von ChatGPT und großen Sprachanalysemodellen und dem, was wir Basismodelle nennen, spielt Kreativität eine große Rolle. Diese Systeme können Programmierleistung erbringen, malen und sich mit natürlicher Sprache ausdrücken. Viele Dinge, von denen wir angenommen haben, dass erst sehr spät automatisiert werden können, sind nun möglich. Kreatives Schreiben, Illustration und künstlerische Arbeit.
Muss ich mir als Schreiber Sorge machen, in Zukunft vom künstlichen Intelligenz-System ChatGPT ersetzt zu werden?
Einige Gruppen von Journalisten werden sich tatsächlich Gedanken über die Zukunft machen müssen. Wer etwa nur die Ergebnisse von Sportveranstaltungen vermeldet oder die Aktienkurse, der könnte tatsächlich in nur wenigen Jahren seinen Arbeitsplatz verlieren. Aber ich denke, dass Künstliche Intelligenz vor allem dazu genutzt werden kann, dass man seine Arbeit noch besser machen können wird. Tools wie ChatGPT werden sie in die Lage versetzen, noch bessere Texte zu verfassen, und sie werden in die Lage kommen, relevante Informationen noch schneller zu bekommen und präzisere Ergebnisse zu erhalten.
Was erwarten Sie von KI-Tools in Zukunft?
Wir kommen bald in Gefilde, wo die Künstliche Intelligenz uns dabei helfen kann, uns selbst zu verstehen. Ein Beispiel: ChatGPT ist wirklich gut darin, mithilfe statistischer Linguistik das jeweils nächste Wort, das in einem Satz auftaucht, zu prognostizieren. Das geht dann so: Ich schreibe: "der Hund ..." - Das nächste Wort könnte lauten: "bellt". Und presto! "Der Hund bellt." Mit solchen recht einfachen Dingen hat es begonnen. Interessanterweise verhalten wir Menschen uns beim Sprechen ähnlich: Wir modifizieren einen Satz so, dass unser Gedankenfluss wiedergibt. Wir glauben immer, dass wir unsere Aussagen gemäß unserer Sprechabsicht absolut logisch formulieren würden. In der Realität ist es so, dass wir Sätze zusammen basteln, die wir dann möglichst so formulieren, dass sie logisch werden. Die Berührungspunkte zwischen Künstlicher Intelligenz und Neurowissenschaft sind absolutspannend.
Wozu werden Computer trotz Künstlicher Intelligenz nie in der Lage sein?
Ich möchte vorausschicken: Sag niemals nie. Derzeit wirken KI-Systeme recht weit von allgemeiner Intelligenz entfernt. Meine Botschaft: Wir sollten darauf achten, worauf wir mit unserer Technologie abzielen. Es wäre ein Fehler, die menschliche Intelligenz mit KI bloß nachzuahmen. Sie sollte vielmehr den menschlichen Verstand ergänzen. Wenn wir KI-Systeme so programmieren, dass sie die menschliche Intelligenz einfach kopieren, dann ist der zusätzliche Nutzen geringer, als wenn wir Systeme entwickeln, die Menschen dabei helfen, mit ihrem eigenen Verstand noch mehr zu erreichen. Denn ein KI-System, das den Verstand der Menschen schlicht kopiert, entwertet die menschliche Intelligenz. Das führt dann dazu, dass Menschen weniger nützlich sind und dass Gehälter sinken. Was aber viel nützlicher ist: Sich darauf zu konzentrieren, jene Dinge zu entwickeln, die für Computer ganz einfach und für Menschen ziemlich schwer sind. Besser: Wenn man mit KI menschliche Möglichkeiten erweitert. Darauf sollten sich die Entwicklerinnen und Entwickler konzentrieren. Es geht darum, Maschinen intelligenter zu machen. Dann erhalten wir eine Summe aus menschlicher Intelligenz und der Intelligenz der Maschinen. Um es auf den Punkt zu bringen: KI soll ergänzen, nicht ersetzen. Damit könnten wir die Fähigkeiten der menschlichen Intelligenz vergrößern und sie nicht einfach nur billiger machen. Ich habe dazu übrigens ein Papier verfasst: "The Turning Trap", es gibt auch ein Video dazu.
Wie werden Unternehmen in Zukunft KI einsetzen?
Derzeit gibt es eine ganze Explosion von Entwicklungen, die auf Grundlage der existierenden Basismodelle erstellt werden - etwa im Rechtsbereich. Es gibt aber auch Unternehmungen, die sich darauf spezialisiert haben, KI-Tools speziell für bestimmte Unternehmen zu entwickeln. Ich komme noch mal auf den Bereich Rechtsanwälte und Rechtsberatung zurück: Es gibt heute schon KI-Tools, die die Rechtsanwaltsprüfung in bestimmten Materien bestehen würden. Oder Stichwort Suchmaschinen: Wir bewegen uns von Suchmaschinen zu Antwortmaschinen. Man stellt etwa ChatGPT eine Frage und bekommt eine Antwort. Man kann dieser Antwort vielleicht noch nicht hundertprozentig vertrauen, aber daran wird gearbeitet. Zudem gibt es auch bei Suchmaschinen Bewegung: Richard Socher arbeitet an you.com, die Tools werden immer besser und faktentreuer.
Haben Sie als Jugendlicher eigentlich gerne Science-Fiction-Bücher gelesen oder im Fernsehen "Star Trek" geschaut?
Ja natürlich! Science-Fiction einer der Gründe, warum ich in diesem Forschungsfeld gelandet bin.
Vieles von dem, was früher Science-Fiction war, ist heute Realität.
Die Science-Fiction-Autorinnen und -Autoren waren tatsächlich äußerst visionär. Ich habe den Science-Fiction-Autor Isaac Asimov geliebt und "Star Trek". Was Informationstechnologie betrifft, war der Fortschritt tatsächlich rasant. Wir verfügen heute über Tools, die mindestens so gut sind wie jene an Deck von "Raumschiff Enterprise". Wenn es um Bits geht, dann entwickeln sich die Dinge unglaublich schnell, wenn es um Atome geht, dann dauert es länger. Beamen, der Warp-Triebwerk, mit dem man mit Überlichtgeschwindigkeit fliegen kann - all das gibt es nicht.
Halten Sie es für möglich, dass die Künstliche Intelligenz eines Tages ein Bewusstsein entwickeln könnte?
Das wird noch dauern. Aber was die Maschine kann: Bewusstsein zu simulieren. Als Menschen sind wir auch leicht in die Irre zu führen. Denken Sie daran, dass man nur ein Smiley auf einen Stein malen muss, und schon erscheint einem der Stein lebendiger, freundlicher. Dabei ist es nur ein Stein.
Brauchen die Ingenieure der Zukunft nicht mehr Ausbildung in Philosophie und Ethik?
Ich arbeite am Stanford Center for Human Centered Design. Wir verlangen bei all unseren Forschungsanträgen ein Ethik-Statement. Vor ein paar Jahrzehnten haben die Entwickler nicht allzu viel darüber nachgedacht, was mit ihren Entwicklungen eigentlich geschieht. Sie waren einfach zufrieden, wenn sie tolle Technologien entwickeln konnten. Das hat sich grundlegend verändert.