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Kurden planen Unabhängigkeit

Von Veronika Eschbacher

Politik

Die erste Sitzung des neuen irakischen Parlaments wurde wegen Streitereien gleich wieder vertagt.


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Bagdad. Alles war festlich vorbereitet. Die Bühne im irakischen Parlament schmückten weiße Blumenkränze und gleich sieben irakische Fahnen. Die erste konstituierende Sitzung des neuen Parlaments wurde mit der Nationalhymne eröffnet, die das Orchester nach Meinung vieler Beobachter "außerordentlich schön" ausführte. Manche schwärmten gleich davon, dass dies den Anfang einer neuen irakischen Einheit im krisengeschüttelten Land markieren könnte. Die Träume währten jedoch nur kurz: Bereits eine halbe Stunde später, nachdem die Parlamentarier ihren Eid in Arabisch oder Kurdisch abgelegt hatten, verstrickten sich die Parlamentarier in wechselseitigen Anschuldigungen und Streitereien. Wenig später wurde die Sitzung vertagt. Die Abgeordneten hätten sich auf keinen Parlamentspräsidenten einigen können, hieß es. Nach einer kurzen Pause kehrten nur noch 75 der 328 Mandatare zurück - Sunniten wie Kurden waren gegangen. Damit war das Plenum nicht länger beschlussfähig.

Erste Aufgabe des neuen Parlaments ist es, einen neuen Regierungschef, Präsidenten und Parlamentspräsidenten zu wählen. Der umstrittene schiitische Ministerpräsident Nuri al-Maliki möchte im Amt bleiben. Schiitische, sunnitische und kurdische Politiker fordern jedoch seinen Rückzug. Sie werfen ihm vor, seine von Schiiten dominierte Regierung diskriminiere Sunniten und habe so den Boden für den Vormarsch der Isis-Extremisten bereitet, die bereits große Teile des Landes kontrollieren.

Harsche Kritik am Parlament

Mehdi al-Hafidh, der interimistische Parlamentssprecher, hatte vor der Pause erklärte, die Abgeordneten stünden vor einer großen Herausforderung. Bereits zu Beginn der Sitzung waren nur 255 von 328 Parlamentariern anwesend. Mehrere Fraktionen boykottierten die Sitzung, weil es bisher keine Einigung über die Kandidaten für die höchsten Staatsämter gibt.

Nach der vorzeitigen Beendigung der Sitzung regelte es harsche Kritik von Kommentatoren. Denn: Die Bildung einer neuen Regierung, die Vertreter aller Bevölkerungsgruppen einschließen soll, lässt so weiter auf sich warten. Sie gilt als eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Stabilisierung der Lage im Irak. Das Land droht auseinanderzubrechen, seit die sunnitische Isis-Miliz auf dem Vormarsch ist.

"Die irakischen Führer hatten eine einfache Aufgabe - die Menschen hier und im Ausland davon zu überzeugen, dass sie daran interessiert wären, das Land zu einen und zu retten", lautete ein Kommentar auf einer irakischen News-Site. "Sie haben versagt, sind angesichts der Krise zusammengeklappt, gleich wie das Militär." Andere verblüffte, dass die Sitzung gleich um eine ganze Woche verschoben wurde. "Die irakische Einheit scheint den Parlamentariern keine dringliche Frage zu sein", lautete ein anderer Kommentar. "Sunniten und Kurden sind mit dem Verlassen des Parlaments symbolisch aus der nationalen Einheit ausgetreten."

Experte: "Irak ist failing state"

Dass mit den sunnitischen und schiitischen Parlamentariern kein Staat mehr zu machen ist, davon sprechen die Kurden im Norden nun auch öffentlich. Nach den Worten ihres Präsidenten Massoud Barzani will die autonome Kurdenregion ein Referendum über die Unabhängigkeit vom Irak abhalten. Ein eigener Staat sei ein "natürliches Recht" der Kurden, sagte Barzani in einem BBC-Interview.

Der Irak sei schon jetzt geteilt, sagte Barzani. Er könne noch kein Datum für das Referendum festlegen, aber es sei nur "eine Frage von Monaten (...) Wir werden für niemanden eine Bedrohung sein." Die Kurden wollten aber bei einer politischen Lösung der Krise im Irak weiter eine Rolle spielen, sagte Barzani. Weitere Details wolle er am Donnerstag im kurdischen Parlament darlegen.

Die irakischen Kurden genießen in ihrer Autonomieregion im Norden des Landes bereits große Eigenständigkeit. Sie wählen ihr eigenes Parlament und haben eine eigene politische Führung. Kurdische Peschmerga-Kämpfer hatten im Juni die nordirakische Stadt Kirkuk besetzt. Sie gehört nicht zu den kurdischen Autonomiegebieten, wird aber von den Kurden beansprucht. Die Stadt 250 Kilometer nördlich von Bagdad ist strategisch wichtig, weil dort 13 Prozent der Ölvorkommen des Irak liegen.

Die Kurden hoffen bereits seit langem, sich von Bagdad lösen zu können. "Es ist verständlich, dass sie versuchen, dieses Zeitfenster jetzt zu nutzen", sagt Falko Walde, der Irak-Experte der Friedrich-Naumann-Stiftung, zur "Wiener Zeitung". "Der irakische Staat ist so schwach wie nie, und dementsprechend ist seine Verhandlungsbasis schwach wie nie."

Dennoch ist für Walde mit der Ankündigung eines Referendums der Kurdenstaat noch keine Realität. Der Schritt sei vielmehr wohl dazu gedacht, die internationalen Reaktionen auszuloten. "Was sagt das Weiße Haus, hält die Türkei still, sagt Teheran nichts dazu?", darüber wolle man sich mit diesem Schritt Klarheit verschaffen. Die Antworten darauf würden die nächsten Schritte Barzanis beeinflussen. "Die Kurden sind sehr pragmatisch", erklärt Walde. Sie würden gut abwägen zwischen der Option einer Beteiligung an der Regierung in Bagdad, für die ihnen nun mehr Spitzenposten angeboten werden müssten, oder einer vollständigen Loslösung.

"Mich würde wundern, wenn die kurdische Führung heute bereits wüsste, was sie schlussendlich machen wird. Dafür gibt es zu viele Fragezeichen", sagt Walde. In der Region sei momentan sehr viel in Bewegung. "Es gibt niemanden, der heute seriöserweise sagen kann, wie der Irak in vier Wochen aussieht." Im Moment sei er ein "failing state", die Zeichen stünden auf Zerfall.

Kurden wollen los von Bagdad