Istanbul - So hatten sich die Amerikaner das nicht vorgestellt. US-Sondereinheiten sollten Kirkuk und Mossul erobern und dabei lediglich Flankenschutz von den Kurden erhalten, so war es mit der Türkei abgesprochen und vom Pentagon geplant. Doch bevor sich die US-Truppen versahen, hatten die Kurdenkämpfer beide Städte einfach überrannt. Nun müssen die USA sehen, wie sie die Kurden wieder aus Kirkuk und Mossul herausbekommen, wenn sie eine türkische Intervention vermeiden wollen.
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Die Kräfte, derer sich die USA im Nordirak bedienen wollen, lassen sich nicht so einfach für fremde Zwecke einspannen. Um Kirkuk und Mossul wurde in der Region schon jahrzehntelang gekämpft, bevor die ersten US-Soldaten dort ankamen - und das wird voraussichtlich auch nach diesem Krieg so weitergehen.
Im Zentrum der Konflikte um Kirkuk und Mossul stehen deren Erdölfelder, die ein Drittel der gewaltigen Ölvorkommen des Irak bergen. Die beiden Städte sind deshalb stets Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzungen zwischen der irakischen Zentralgewalt in Bagdad und den nordirakischen Kurden gewesen. Anders als etwa in der Türkei, deren Staatsideologie die Integration aller Volksgruppen in das Staatsvolk gebietet und deshalb jede Autonomie für die Kurden ausschließt, ist die Autonomie für die weit stärkeren Kurden im Irak schon lange kein unerreichbarer Traum mehr. Vor Jahrzehnten schon war die Autonomie zum Greifen nahe, standen entsprechende Abkommen mit Bagdad vor dem Abschluss - doch stets scheiterte der Vollzug am Streit um das Öl von Kirkuk und Mossul, das die Kurden zum Autonomiegebiet zählen und Bagdad nicht hergeben wollte. Am Ende gab es immer wieder Krieg.
Das Erdöl von Kirkuk und Mossul ist auch der Grund dafür, dass die Nachbarstaaten in der Region und sogar die Amerikaner selbst immer wieder tatkräftig in diesen Auseinandersetzungen mitgemischt haben. Der Iran etwa versorgte die Kurden in ihrem Kampf gegen Bagdad jahrelang mit Waffen, Nachschub und Rückzugsgebieten, um das irakische Regime zu destabilisieren - nur um diese Unterstützung jäh zu beenden und sich mit Bagdad zu einigen, als die Kurden ihrem Ziel einer Ergreifung von Kirkuk und Mossul zu nahe zu kommen schienen.
Über Iran unterstützten auch die USA in den 70er Jahren zeitweise den Kampf der nordirakischen Kurden, die ihnen dafür offen das Erdöl von Kirkuk anboten; wie Teheran wünschte aber auch Washington keinen Kurdenstaat, sondern lediglich eine Schwächung des Irak. Die Türkei wiederum hat eigene historische Ansprüche auf die Region zwar schweren Herzens aufgegeben, will aber eine kurdische Herrschaft über Kirkuk und Mossul nicht dulden, weil deren Reichtümer einen Kurdenstaat finanzieren könnten, der das bitterarme Kurdengebiet im eigenen Land rebellisch machen könnte.
Diese Konfliktlinien sind älter als das Regime Saddams und werden auch nach seinem Sturz bestehen bleiben.