Minderheitenprogramm rund um die Uhr - doch Kurden bleiben skeptisch. | Journalistinnen, die von ihren zu Tränen gerührten Vätern berichteten. Wütende Abgeordnete, die von Wahlkampfpropaganda der Regierungspartei sprachen. Nationalisten, die einmal mehr vor einer Zersetzung des Staates warnten. Die Reaktionen auf den Start eines kurdischen Fernsehprogramms in der Türkei fielen im Land vielfältig aus.
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Zwar lieferte der staatliche türkische Fernseh- und Radiosender TRT schon seit ein paar Jahren halbstündige Sendungen in kurdischer Sprache, nicht zuletzt auf Druck der Europäischen Union, die die Stärkung von Minderheitenrechten zu einer Bedingung für eine mögliche EU-Mitgliedschaft des Landes macht. Doch TRT Ses (das kurdische Wort für sechs) sendet nun rund um die Uhr. Und das in einem Land, wo bis 1991 der Gebrauch des Kurdischen in der Öffentlichkeit verboten war, wo sogar das Hören einer Musikkassette in dieser Sprache zu einer Gefängnisstrafe führen konnte.
Mit einer großen Feier ging TRT 6 in der Vorwoche auf Sendung, und auf Kurdisch wünschte Premierminister Recep Tayyip Erdogan dem Unterfangen gutes Gelingen. Doch Abgeordnete der kurdischen Partei DTP fehlten bei dem Fest. Sie wollten nicht Erdogans Partei AKP abfeiern, die sich wenige Monate vor den Lokalwahlen in der Türkei die Sympathie von Millionen Kurden erkaufen möchte, erklärte eine Parlamentarierin.
Im Übrigen ist Wahlpropaganda sowieso nur auf Türkisch, der einzigen Amtssprache des Landes, erlaubt. Dies stellte die Oberste Wahlbehörde in Ankara rechtzeitig zum Programmstart klar.
Auch wenn nun rechte Nationalisten davor warnen, das kurdische Fernsehen rüttle an der Einheit des Landes, so ist es eher im Gegenteil ein Schritt zur Überwindung der sozialen und kulturellen Kluft in der Türkei. Diese ist noch immer groß. Viele Türken im Westen des Landes verstehen die Forderung der Kurden nach Minderheitenrechten nicht. "Vor dem Gesetz sind wir doch alle gleich", lautet ihr Argument.
Allerdings haben die mehr als zehn Millionen Kurden noch immer nicht die Möglichkeit, an höheren Schulen oder Universitäten in ihrer Sprache zu lernen, werden Menschenrechtsaktivisten noch immer mit Anklagen vor Gerichten überhäuft. Auch religiöse Minderheiten - mit Ausnahme der Griechisch-Orthodoxen, Juden und Armenier - haben keinerlei besonderen Schutz. So bewegen sich katholische oder protestantische Gemeinden noch immer in einem rechtsfreien Raum.
Schon einmal hat Ministerpräsident Erdogan die Hoffnungen vieler Kurden enttäuscht. Vor der Parlamentswahl im Jahr 2007 versprach er im verarmten, sozial und wirtschaftlich vernachlässigten Osten an einer Lösung für das kurdische Problem zu arbeiten. Doch schon kurze Zeit später war von Reformen nicht mehr viel zu spüren. Die Installation eines kurdischen Fernsehsenders ist ein Schritt vorwärts. Will die Türkei aber die Erwartungen der Kurden und der EU erfüllen, muss sie weiter gehen.