32 Menschen bei Anschlag verletzt. | Kritik an Ankara wegen Terror-Gesetz. | Istanbul. Am Tag danach herrschte die übliche Hektik am Taksim-Platz. 24 Stunden nach einem Selbstmordanschlag hupten sich die Autos wieder durch den Kreisverkehr, hetzten Menschen in die Arbeit, priesen Straßenverkäufer lautstark ihre Waren an. Der Platz liegt mitten im alten europäischen Zentrum Istanbuls, von hier aus fahren die Stadtbusse in alle Richtungen und geht es in die elegante Istiklal-Straße, die als Flaniermeile sowohl bei Einheimischen als auch Touristen beliebt ist.
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Hier sprengte sich am Sonntagvormittag ein Attentäter in die Luft. Der Mann habe versucht, in einen geparkten Polizeibus hineinzukommen, berichtete der Istanbuler Polizeichef Hüseyin Capkin später. Als dies nicht gelungen sei, habe der Attentäter seine Bombe vor dem Wagen gezündet. Er sei in Fetzen gerissen worden und habe gleichzeitig 32 Menschen verletzt, 15 davon Polizisten. Laut türkischen Medien war der Zünder der Bombe ein österreichisches Fabrikat, das Innenministerium in Wien konnte dies aber nicht bestätigen.
Zu dem Anschlag bekannte sich zunächst niemand. Doch schnell wurde von einigen Politikern und Medien die PKK verantwortlich gemacht, die verbotene und als Terrororganisation eingestufte Arbeiterpartei Kurdistans. Ihre Führung, die nun einen Waffenstillstand verlängert hat, wies dies in einer ersten Stellungnahme zurück. Allerdings gibt es in der PKK Splittergruppen, die sich einer Kontrolle von oben entziehen. Auch hat es bereits in der Vergangenheit Selbstmordanschläge kurdischer Rebellen gegeben - ebenso wie radikaler Linker oder militanter Islamisten. Der Kampf gegen den Terror - wie Ankara das Vorgehen gegen die PKK nennt - rückte jedenfalls einmal mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. In der Türkei vergeht kaum eine Woche, in der nicht bei Kämpfen zwischen der Armee und der PKK Menschen sterben, vor allem im Osten und Südosten des Landes.
Und selbst die Europäer würden diesen Terror unterstützen, lautete der Vorwurf von Premier Recep Tayyip Erdogan, der am Montag nach Istanbul gereist war. Gruppierungen der PKK würden nämlich in europäischen Ländern unter dem Deckmantel von Stiftungen oder Medien aktiv sein. Von Dänemark aus sendet etwa Roj-TV, das als Sprachrohr der verbotenen Organisation gilt. Ähnliche Medien haben ihren Sitz in Deutschland.
Kritik an Kurden-Politik
Aus Sicht vieler westlicher Beobachter ist allerdings das militärische Vorgehen gegen die PKK nicht das probate Mittel, um das seit Jahrzehnten schwelende Problem der Kurden zu lösen. "Der Respekt vor Bürger- und Minderheitenrechten und die Stärkung der Demokratie sind der beste Weg, den Terror zu bekämpfen", erklärte etwa Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, die derzeit in Istanbul eine Konferenz zur "Türkei in Europa" abhalten.
Die Stärkung der Minderheitenrechte fordert ebenfalls die Europäische Kommission von der EU-Beitrittskandidatin ein. Dass die Türkei allerdings auf diesem Gebiet noch einiges zu tun hat, zeigt unter anderem ein aktueller Bericht von Human Rights Watch. Die Menschenrechtsorganisation prangert an, dass die 2005 eingeführten Anti-Terror-Gesetze dazu missbraucht werden, kurdische Demonstranten strafrechtlich zu verfolgen. Menschen, die lediglich an einem Protestzug teilnehmen oder einem Redner Beifall klatschen, der die Diskriminierung von Kurden beklagt, würden vor Gerichte gestellt und wie bewaffnete Kämpfer behandelt. Hunderte kurdische Aktivisten sitzen derzeit im Gefängnis.
Selbst Jugendliche wurden zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt, weil sie bei Demonstrationen Steine geworfen haben. Den Passus, der dies ermöglicht, hat das türkische Parlament erst im Juli entschärft. Andere Anti-Terror-Gesetze sind aber weiter in Kraft.