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Kurdendebatte im Nationalrat: Spätfolgen der Ignoranz

Von Ine Jezo-Parovsky

Politik

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Geschockt war der Westen, als die Funken des Brandherdes Kurdistan Anfang Februar auf ganz Europa übersprangen. Da marschierten skandierende, kurdische Demonstranten durch friedliche, europäische

Hauptstädte. Sie forderten Gerechtigkeit für den Führer der kurdischen Befreiungsarmee PKK, Abdullah Öcalan, und lieferten der Polizei Straßenschlachten.

Freilich nicht in Österreich. Hier konnte alles friedlich geregelt werden. Ein Umstand, den Innenminister Karl Schlögl in einer Nationalratsdebatte Ende Februar als Erfolg des österreichischen Weges

in der Kurdenfrage zurückführte. Was SPÖ, Liberale und Grüne bestätigten, ÖVP und Freiheitliche aber heftig bezweifelten. Einig waren sich die Parteien darin, daß in der Kurdenfrage etwas geschehen

muß. Gilt es doch europaweit, die Proteste als das zu bewerten, was sie waren. Als einen Aufstand, der plötzlich, aber nicht unterwartet kam und der sich schon im Herbst 1998 abgezeichnet hatte, als

Syrien sich unter dem politischen Druck der Türkei gezwungen sah, Öcalan eine jahrelange Schirmherrschaft aufzukündigen.

Türkischer "Staatsfeind Nr. 1"

Wochenlang versuchte der PKK-Führer daraufhin, in einem anderen Land Zuflucht zu finden. Im November des Vorjahres wurde er schließlich in Italien aufgegriffen, wo man meinte, einen deutschen

Haftbefehl wegen terroristischer Aktivitäten ernstnehmen zu müssen. Die Deutschen wollten die heiße Kartoffel Öcalan aber keineswegs anfassen. Klammheimlich brachten die Italiener ihn außer Landes.

Womit das Problem natürlich nicht gelöst war. Endstation der neuerlichen Flucht Öcalans war schließlich die griechische Botschaft in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Dort, so berichten Vertraute

Öcalans, wurde ihm versichert, er könne unbehelligt in ein mögliches Gastgeberland ausreisen. Vor der Botschaft hätte aber bereits der türkische Geheimdienst gewartet und ihn festgenommen.

Damoklesschwert Todesstrafe

Völlig unverständlich dabei: Die griechische Regierung benachrichtigte die europäischen Innenminister viel zu spät. Eine Vorgangsweise, die Innenminister Schlögl in seiner Erklärung zu kurdischen

Aktivitäten vor dem Nationalrat als "besonders kritisch" einstufte. Es sei nicht nachvollziehbar, so Schlögl, weshalb Athen seine EU-Partner nach der Verhaftung Öcalans nicht unmittelbar informiert

habe. So gelang es den gut organisierten Kurden, deren Vertrauensleute die Nachricht von der Festnahme sofort weitergeleitet hatten, die europäischen Sicherheitsdienste zu überrumpeln. Griechische

und Kenianische Botschaften waren besetzt, bevor die Innenminister wußten, warum.

Jetzt herrscht Katerstimmung bei den Politikern und Kopfzerbrechen darüber, wie man die Türkei dazu bringen könnte, kein Todesurteil über Öcalan zu verhängen, um einen türkisch-kurdischen Krieg im

Herzen Europas zu verhindern. Ein Krieg, der spätestens zu Ende der 80er und frühen 90er Jahre vom Osten hereingetragen worden war, als Kurdenführer in Österreich und in Deutschland von ausländischen

Killerkommandos ermordet wurden.

Volk ohne Land

Eingestehen müssen sich die Politiker, daß die Lunte zum Pulverfaß Kurdistan vom Westen gelegt wurde. Hatten doch die Siegermächte des Ersten Weltkrieges Grenzen mitten durch Kurdistan gezogen.

Wissend, daß vor allem der Irak, der Iran und die Türkei Kurdenaufstände mit Unterdrückung beantworten würden. Kurz darauf wurden in einem Zeitraum von nur wenigen Jahren 700.000 Kurden deportiert.

Wohin ist zum Teil bis heute nicht schlüssig dokumentiert.

In den Jahren darauf gab es jede Menge Verträge und Versprechen. Eingehalten wurde nichts. Eine Demütigung des schon von Karl May als freiheitsliebend und tapfer beschriebenen Bergvolkes, das sich

als eines der ältesten Völker der Erde betrachtet.

Heiß umkämpftes Kurdistan

Eine alte Sage erzählt, die Kurden hätten in den Bergen die große Sintflut überlebt. Woher sie kommen, weiß niemand genau. Es gibt unter ihnen blonde Menschen mit blauen Augen. Ihre Sprache klingt

iranisch, ihre Grammatik ähnelt der französischen, in ihren Märchen leben noch Rotkäppchen und Aschenbrödel.

Bis ins 7. Jahrhundert gab es unter ihnen viele Christen, die dann gewaltsam islamisiert wurden. Verfolgen läßt sich ihr Ursprung bis ins 4. Jahrtausend vor Christus. Im Jahr 2000 v. Chr. wird

erstmals die Region "Kardaka" erwähnt. Die Kurden selbst bezeichnen sich als Nachkommen der Meder, die 708 v. Chr. ein Großreich errichteten. Es wurde von den Persern zerstört. Verwüstet wurde

Kurdistan aber auch in den darauffolgenden Jahrhunderten. Makedonen, Seldschuken und Mongolen überrannten brandschatzend das Land. Es war Schauplatz der Kriege zwischen Persern und Osmanen.

Verdrängt, vergessen, verraten

Für das Volk der Kurden ein von Tod, Vertreibung, Hunger, Armut, Täuschung und Verrat geprägter Leidensweg, der sich fortsetzte.

1920 nach der Zerschlagung des Osmanischen und Persischen Reiches versprachen westliche Großmächte den Kurden einen unabhängigen Staat. Es wurde nichts daraus.

1925 vergaß Atatürk die freundschaftlichen Beziehungen zu seinen ehemaligen Verbündeten. Er hatte die Türkei mit Hilfe der Kurden gegründet. Sie hatten Dank von ihm erwartet. Kurz darauf verbot er

aber ihre Sprache, ihre Trachten, ihre Traditionen. Als die Kurden sich zur Wehr setzten, schlug er die Aufstände blutig nieder.

1946 unterstützten die Sowjets die Gründung der kleinen kurdischen Republik Mahaba. Ein Jahr später überrollten iranische Truppen den Kurdenstaat.

1961 organisierte der Kurdenführer Mustafa Barsani den bewaffneten Widerstand gegen das irakische Regime. Schließlich gestand die irakische Regierung den Kurden eine autonome Provinz zu. Mit

unzureichenden Vereinbarungen. Worauf die Kurden ihren Befreiungskampf fortsetzten. Mitte der 70er Jahre mit persischer Unterstützung. Ein falscher Schachzug, wie sich herausstellte. Der Schah und

Saddam Hussein versöhnten sich und wandten sich gemeinsam gegen die Kurden.

1988 · nach dem ersten Golfkrieg, in dem die Kurden den Iran unterstützt hatten · bekamen sie die Rache Saddam Husseins zu spüren. Ganze Dorfgemeinschaften wurden mit Giftgas und Napalm ausgerottet.

Allein bei einem Giftgasangriff auf das Dorf Halabscha kamen 5.000 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, ums Leben.

1991, nach dem Ende des Zweiten Golfkrieges, gingen · nach weiteren Verfolgungsjagden Saddam Husseins · Bilder vom Exodus der Kurden um die ganze Welt. Westliche Politiker versprachen, ihre

Menschenrechte einzufordern. Bis auf Hilfsmaßnahmen für die frierenden, vom Hunger ausgezehrten Flüchtlinge geschah aber herzlich wenig.

Der Mythos Öcalan

Daß die Kurden zum Spielball der Mächte wurden, ist freilich zum Teil auch ihre eigene Schuld. Konnten sich doch die Bergstämme ihres wild zerklüfteten Gebietes lange Zeit nicht auf eine

gemeinsame Linie einigen. Ein Umstand, der es dem Iran, dem Irak und der Türkei leicht machte, bestimmte Gruppen zu vereinnahmen. Jeder dieser Staaten unterstützte und unterstützt eine eigene

Kurdenpartei. Ein Druckmittel gegen das Nachbarland und die beste Gelegenheit, Rivalitäten aufzubauen und die Kurden gegeneinander auszuspielen.

Jahrzehntelang schafften es diese gemäßigten Parteien nicht, die Kurden für eine gemeinsame Sache zu begeistern. Damit war der Grundstein zum Erfolg Öcalans gelegt. Erst seine, aus der

Studentenbewegung der 60er Jahre hervorgegangene, militante PKK gab den Menschen Hoffnung. Es war Öcalan, der dem 22 Millionen Menschen zählenden, größten Volk ohne Land erstmals

Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelte. Zehntausende junge Kurden zogen für ihn in den Kampf.

Öcalan wurde zum Symbol des Traumes vom freien Kurdistan. Und das, obwohl die meisten Kurden seine terroristischen Aktionen ablehnten. Einverstanden waren viele der 14 Millionen Kurden, die in der

Türkei leben, auch mit einem energischen Durchgreifen der Regierung gegen Anschläge, etwa auf Touristenzentren. Nicht aber mit dem grausamen Ausmaß der Terrorbekämpfung.

Sand in den Augen

Menschenrechtsorganisationen versuchen seit Jahren, einen Genozid zu verhindern und westliche Politiker auf die Folgen einer Vogel-Strauß-Politik hinzuweisen. Aufgelistet haben sie auch die

Unterdrückung der Kurden in der Türkei: Ihre Existenz wurde dort geleugnet, sie wurden geknechtet und gefoltert. Kurdische Frauen wurden mit brutalen Methoden zur Abtreibung gezwungen. Legal gewählte

Kurdenpolitiker wurden verhaftet, kurdische Regimekritiker und Schriftsteller kamen auf mysteriöse Weise ums Leben. Ungestraft konnte die Türkei für die Errichtung des Atatürk-Staudammes Kurdendörfer

dem Erdboden gleichmachen und offiziell die "Absiedelung" von 65.000 Menschen bekanntgeben.

Lange Zeit kamen keine wesentlichen Proteste aus dem Westen, als die türkische Armee bei der Bekämpfung von PKK-Stellungen in der kurdischen Schutzzone im Nordirak ganze Dorfgemeinschaften und damit

auch schuldlose Frauen und Kinder niedermetzelte. Zum Teil mit Waffen aus dem Westen. Anschuldigungen, die in den USA zur Kenntnis genommen wurden und dem NATO-Stützpunkt Türkei erst in den letzten

Jahren heftige Kritik der EU eintrugen.

Der österreichische Weg

Der österreichische Nationalrat beauftragte die Regierung schon 1992 in einem einstimmig verabschiedeten Antrag, die Menschenrechte der Kurden international einzufordern. Mit mäßigem Erfolg. Wohl

in Erinnerung an Kreisky und seine Beziehung zu PLO-Führer Arafat, dem späteren Nobelpreisträger, durfte die kurdische Partei ERNK, der politische Arm der PKK, mit Hilfe der Sozialdemokraten in Wien

ein Büro einrichten. Eine Maßnahme, die von den Freiheitlichen in der Februardebatte des heurigen Jahres heftig kritisiert wurde. Im Unterschied zu 1992 zeichneten sich diesmal auch deutliche Grenzen

zwischen der linken und der rechten Hälfte des Plenums ab.

Grüne, Liberale und SPÖ drängten in der Hauptsache auf die Einmahnung der Menschenrechte in der Türkei. ÖVP und FPÖ beschränkten sich in ihren Reden praktisch nur auf innerösterreichische

Sicherheitsfragen. Beide warfen der SPÖ enge Kontakte zur PKK vor. Beide forderten ein Verbot der PKK, die FPÖ sogar eine sofortige Abschiebung von straffälligen PKK-Aktivisten. Grüne, Liberale und

SPÖ hielten dem entgegen, daß die Demonstrationen in Österreich nur deshalb friedlich verlaufen seien, weil man stets das Gespräch gesucht hätte.

Die goldene Mitte versuchte Innenminister Schlögl in seiner Erklärung zu finden. "Wir lehnen mit allem Nachdruck das Hereintragen von Konflikten nach Österreich ab", betonte er. Strafbare Handlungen

müßten geahndet werden. Ein Verbot der PKK würde aber zu einer Radikalisierung oder zu gewalttätigen Kundgebungen führen. Denn, so Schlögl wörtlich: "Die Suche nach gewaltfreien Konfliktbereinigungen

hat unserem Land ein äußerst hohes Maß an Sicherheit und Stabilität beschert."Õ

Ine Jezo-Parovsky ist Mitarbeiterin der ORF-Parlamentsredaktion