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Kurdischer Kampf um politische Teilhabe

Von Martyna Czarnowska aus Diyarbakir

Politik
In Diyarbakir, rund 1.300 Kilometer südöstlich von Istanbul entfernt, kam der frühere Wirtschaftsboom kaum an.
© Czarnowska

Lange Zeit staatlicher Verfolgung ausgesetzt, könnten kurdische Gruppierungen Königsmacher sein.


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Angst? Vor dem Gefängnis? Sie tue doch nichts Unrechtes, sie dürfe doch sprechen und sich politisch engagieren. Ihre Großmutter sei in den 1990er Jahren verhaftet worden, sie sei gefoltert und von einer Brücke geworfen worden, liegen gelassen, weil sie für tot gehalten wurde. Sie lebt noch immer. Und sie habe auch keine Angst.

Ceylan Akca Cupolo erzählt dies mit fester Stimme und gestikuliert dabei energisch. Sie hat sich zum Gespräch in einer Konditorei in der Nähe des Autobusbahnhofs in Diyarbakir verabredet, sie kommt gerade aus einem kleinen Dorf, nicht weit von hier, aber die Fahrt dorthin dauert zwei Stunden. Die Bewohner berichteten, was sie bräuchten: eine gute Straße in den Ort, durchgehend Strom, einen Funkmast. Akca Cupolo ist im Wahlkampf, sie kandidiert für die Grüne Linkspartei und hat beste Chancen, einen Sitz im künftigen türkischen Parlament zu gewinnen. Unter dem Schirm der Grünen Linken haben sich Vertreter der von Kurden dominierten HDP versammelt, gegen die ein Parteiverbotsverfahren läuft.

Verschleppt, gefoltert, ermordet

Etliche ihrer Politiker sitzen schon seit Jahren im Gefängnis; auch hunderte Journalisten, Anwälte, Aktivisten wurden verhaftet. Tausende Gerichtsverfahren laufen. Der Vorwurf ist immer ein ähnlicher: Unterstützung einer terroristischen Organisation. Gemeint ist die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). In den 1990er Jahren war die Verfolgung kurdischer Aktivisten besonders gnadenlos. Tausende Menschen wurden verschleppt, gefoltert, verschwanden für immer, ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. Anschläge der PKK waren Anlass für blutige Feldzüge.

Noch heute kennen die Kurden, die in der Türkei mehr als ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen, nicht Minderheitenrechte wie es sie etwa in Österreich gibt. Ihre Kinder können in Schulen nicht auf Kurdisch unterrichtet werden, und dieses ist auch keine Amtssprache. Politische Parteien wie die HDP landen vor Gericht. Hinzu kommt die ökonomische Vernachlässigung. Der frühere Wirtschaftsboom kam im mehrheitlich von Kurden bewohnten Südosten des Landes nicht an. Städte wie Diyarbakir, das mehr als 1.300 Kilometer südöstlich von Istanbul entfernt ist, erreichten die Investitionen in Infrastruktur, Bauwesen, Unternehmen kaum. Die imposante Stadtmauer, die sich rund um den alten Kern zieht, wurde zwar renoviert. Doch in den engen Gassen dazwischen verfallen etliche Gebäude; kleine Geschäfte und Handwerksläden drängen sich aneinander, Kinder spielen in den staubigen Durchgängen Fußball. Wer es sich leisten kann, zieht in die Neustadt mit ihren Hochhäusern und asphaltierten Straßen.

Ceylan Akca Cupolo hofft auf einen Sitz im Parlament.
© Diego Cupolo

Für die Anliegen dieser Stadt und Gegend will sich Ceylan Akca Cupolo im Parlament in Ankara einsetzen. Vor allem aber möchte sie darauf einwirken, "dass die Türkei zu einem Land wird, wo Rechtsstaatlichkeit herrscht und wo die Rechte der Kurden in der Verfassung anerkannt werden", sagt sie und fügt hinzu, dass alle Minderheiten gleichberechtigt sein sollen, also auch jene Menschen, "die nicht in die Kategorie des weißen sunnitischen Türken passen".

Zehn Prozent der Stimmen

Sogenannte Friedensgespräche über mehr gesellschaftliche Einbindung der Kurden hat es schon mehrmals gegeben. Doch sie sind im Sand verlaufen. Das werde sich nicht ändern, solange Präsident Recep Tayyip Erdogan und die AKP an der Macht seien, meint Akca Cupolo: "Es ist zu 100 Prozent klar, dass es keinen Frieden mit der jetzigen Regierung geben kann, denn die speist sich aus Chaos und Krieg." Ihre Familienmitglieder seien ins Verteidigungswesen involviert - ein Friedensprozess würde da keine Profite bringen.

Der Opposition trauen die Grünen Linken eher zu, in Verhandlungen zu treten. Sie haben keinen eigenen Kandidaten für die Präsidentenwahl aufgestellt, die am Sonntag gemeinsam mit dem Votum über das Parlament stattfindet. Das könnte die Chancen von Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu stärken, der Erdogan herausfordert. "Es ist nicht so, dass wir Kilicdaroglu lieben", erklärt Akca Cupolo. "Doch wir wollen, dass Erdogan verliert."

Es ist durchaus möglich, dass gerade die Stimmen der Kurden beim Urnengang entscheidend sein werden, vor allem bei einem knappen Ergebnis. Mit rund 10 Prozent der Wähler können die Grünen Linken rechnen. Das könnte einerseits Präsidentschaftskandidat Kilicdaroglu zugutekommen, andererseits könnten die Kurden im Parlament und bei der künftigen Regierungsbildung die Königsmacher sein.

Einer, der nicht dabei sein wird, ist Isik. Der 38-Jährige, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung veröffentlicht haben will, engagiert sich seit Jahren für die HDP, nun Grüne Linkspartei. Doch zur Wahl antreten darf er nicht. Seine Geschichte ist symbolhaft für das Vorgehen des türkischen Staates gegen kurdische Aktivisten.

"Sie wollen uns kontrollieren"

Die Familie stammt aus Mus, rund 200 Kilometer von Diyarbakir entfernt. Isik zog zum Studium nach Istanbul, arbeitete dann in einer Apotheke in einem öffentlichen Krankenhaus, eröffnete schließlich eine eigene. Als Parteimitglied wurde er 2015 verhaftet, freigesprochen und 2021 wieder festgenommen. Er wurde zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, wovon er ein Jahr absaß. Das Verfahren ist noch am Laufen, Isik darf nicht ausreisen, nicht fürs Parlament kandidieren. "Sie wollen uns kontrollieren, uns von der Politik fernhalten", erklärt er. Bei der Wahl geht es auch seine persönliche Zukunft: "Wenn Erdogan gewinnt, werde ich die Türkei verlassen, illegal."

Eine Institution, die eng mit der Situation der Kurden verbunden ist, ist die Menschenrechtsorganisation IHD (Insan Haklari Dernegi), die 1986 gegründet wurde. Sie dokumentiert Rechtsbrüche, politische Verfolgung, Folter, Morde. "Das Kurdenproblem ist ein Menschenrechtsproblem", konstatiert IHD-Vorstandsmitglied Osman Isci. In seinem Büro in Ankara steht, an die Wand gelehnt, eine herausgerissene Tür. Darin 13 Einschusslöcher. Durch diese Tür wurde 1998 auf den damaligen IHD-Präsidenten Akin Birdal geschossen, der das Attentat schwer verletzt überlebte.

Isci weist darauf hin, dass die Atmosphäre der vergangenen Jahre wieder zunehmend gewalttätig sei. Größer werde auch die Ausgrenzung. "An den Friedensgesprächen vor knapp zehn Jahren haben wir noch in einem Weisenrat mitgewirkt", berichtet Isci. Doch dann seien die Verhandlungen zusammengebrochen. Auch Isci setzt nun auf die Opposition und glaubt nicht, dass Erdogan und die AKP an der Macht bleiben. "Sie können diese Wahlen nicht gewinnen, wenn es keine repressive Atmosphäre gibt", stellt er fest.