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Der Wimpel sah man viele dieser Tage. Fahnen schwenken, Hymnen singen, Gläser erheben - so geht das, wenn man ein Jubiläum feiert. Falls man eine Queen ist. Falls man ein Einkaufswagerl ist, hat man Pech gehabt. Letzteres hat nämlich am Montag seinen 75. Geburtstag gefeiert - weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Denn von keinem einzigen Supermarktparkplatz gab es einschlägige Berichte über Champagnerduschen für feierlich geschmückte Wagenkolonnen.
Am 4. Juni 1937 stellte also Sylvan N. Goldman in Oklahoma City den Prototyp des Einkaufswagens vor. Goldman war übrigens der Besitzer einer Supermarktkette mit dem klingenden Namen "Humpty Dumpty". Weil sich die Wagen nicht gleich durchsetzten - Männer wollten sich nicht die Blöße geben, Frauen wollten nicht aussehen, als schöben sie einen Kinderwagen -, griff Goldman zu einem Trick. Er ließ Angestellte leidenschaftlich vorführen, dass das Leben ohne volle Einkaufstasche ein trefflich unbelastetes ist.
So hat also die Karriere des ultimativen Kapitalismus-Vehikels mit charmant-altmodischer Manipulation begonnen - denn der freundliche Herr Goldman wollte nicht nur die Damenhände von den Einkaufskörben befreien, er wollte deren Hände frei bekommen - zum Wagerl-vollschaufeln. Konsequenterweise ist dieser Einkaufswagen nach wie vor gelebte angewandte Kundentäuschung - so rollt es zum Beispiel umso leichter, je voller es ist. Am besten rollt es freilich, wenn es ein Miniaturwagerl in Kinderhänden ist und Kurs auf erwachsene Achillessehnen nimmt. Und bitte: Ist das wirklich ein Grund zum Feiern?