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Als am Freitag immer mehr Anleger ihre Technologiewerte abstießen und der amerikanische NASDAQ-Index in ungeahnte Tiefen stürzte, schien die einstige Glitzerwelt der Internet-Firmen im Silicon
Valley ihren Glanz endgültig zu verlieren. Die Einwohner der High-Tech-Gegend · vom Software-Ingenieur bis zum Zeitungsmacher · versetzte es in Panik, als die Internet-Euphorie, die das Tal in den
letzten Jahren mit nie da gewesenem Reichtum versorgt hatte, wie eine Seifenblase platzte.
Nach Ansicht von Finanz-Experten macht der Markt eine lang überfällige Korrektur durch. Langfristig, so erklären sie, wirke sich dies positiv aus: Schwache Firmen und spekulative Anleger blieben auf
der Strecke. Auf Investoren, die ihre Internet-Aktien nur mit astronomischen Wachstumsraten kennen, wirkte der NASDAQ-Fall wie ein Börsen-Armaggedon.
"Es ist eine Katastrophe, ich werde ausradiert", sagte der Programmierer Nicholas Chen. Wie Tausende anderer Computerfachleute im Silicon Valley hat Chen Verluste über das übliche Anlegerrisiko
hinaus. In den Jahren des Booms wurden Aktienoptionen, mit denen Angestellte hoch bewertete Firmenaktien zu niedrigen Preisen beziehen konnten, zur allgemein akzeptierten Form der Vergütung in der
Branche. In einem strauchelnden Aktienmarkt werden diese Optionen jedoch wertlos.
Um dies alles vorauszusehen, hätte ein kurzer Blick ins Internet genügt. Dort setzen Unternehmen auf der Jagd nach Gewinnen ein Überangebot an Risikokapital aufs Spiel. Dass dabei viele verlieren,
ist offensichtlich. Wie in jeder neuen Branche kaufen die starken Wettbewerber die schwachen auf und drücken andere aus dem Geschäft. Zur Zeit werden sogar vermeintliche Branchenführer zerrieben. Der
Grund: Wie fast alle im Internet bieten sie ihre Produkte entweder gratis an oder verkaufen sie unter Wert · die Konkurrenz soll unter allen Umständen geschlagen werden. Eine Firma, die ihre Produkte
verschenkt, hat es jedoch schwer mit dem Geldverdienen.
Um die Aufmerksamkeit ihrer Kunden zu Geld zu machen, greifen verzweifelte Firmen auf Anreize wie Wetten, Lotterien und Bargeldgewinne zurück. Neun solcher Incentive-Seiten waren nach einer
Untersuchung in der ersten Märzwoche unter den Top 50 der bestbesuchten Internetseiten · ein Ranking, nach dem Werbegelder gezahlt werden. Nach Schätzungen besucht etwa ein Fünftel aller
Internetbenutzer regelmäßig Lotto-Sites, manche Internet-Experten glauben sogar, dass diese Zahl leicht auf 50% steigen könnte. Gary Kopp, ein 53-jähriger Finanzberater aus Las Vegas, hatte Glück:
Auf Iwin.com hatte er sechs Richtige und gewann 1 Mill. Dollar. Für ihn war es ein Spiel ohne Risiko, er selbst musste keinen Einsatz bringen.
Laut Statistiken liegen die so genannten "Click through"-Raten, die angeben, wie oft Surfer auf Banner-Anzeigen klicken, bei unter 2%. Da sich das Internet aber über eben solche Anzeigen finanziert,
denken manche Analysten bereits darüber nach, Gebühren für das Ansehen von Internet-Seiten zu verlangen · ein Ansinnen, das bis vor kurzem völlig undenkbar war.
Der "San Francisco Chronicle" stellt seinen Lesern die rhetorische Frage, ob sie für manches im Internet nicht doch bezahlen würden, wenn sie dafür Qualität ohne Werbung bekämen. Eines Tages
könnte dies Wirklichkeit werden. Bis dahin aber werden Internetfirmen weiter bluten und die Benutzer des Gratis-Internets nicht mehr bekommen, als sie bezahlen.