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Kurt Equiluz

Von Hermann Schlösser

Reflexionen
"Man darf nicht alles hinnehmen, was einem oktroyiert wird" - Kurt Equiluz im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Redakteur Hermann Schlösser. Foto: Jasmin Ziegler

An seinem 80. Geburtstag blickt Kammersänger Kurt Equiluz auf ein langes künstlerisches Leben zurück, spricht über Johann Sebastian Bach und erinnert an den vergessenen Wiener Komponisten Benedict Randhartinger.


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Wiener Zeitung: Herr Equiluz, wenn man Schallplattenaufnahmen aus den 1950er Jahren hört, klingen die Sänger ganz anders als die heutigen. Können Sie erklären, woran das liegt? Kurt Equiluz: Ja, das stimmt, es gibt große Unterschiede zwischen damals und heute. Man kann zwar nicht sagen, dass heute genauer gearbeitet würde als zu unserer Zeit, denn wir haben auch genau gearbeitet. Aber in den fünfziger Jahren haben die Sänger noch sehr viele Portamenti gemacht, was heute fast völlig abgelehnt wird.

Was genau sind Portamenti?

Als Portamento bezeichnet man das sogenannte "Schleifen", also ein übergangsloses Herunterrutschen oder Hinaufgleiten von einem Ton zum anderen. Im Liedgesang ist das heute völlig verpönt, und auch in der Oper wird es nur noch selten eingesetzt. Früher wurde es aber gerne gemacht. Und wer weiß, in zwanzig, dreißig Jahren kann sich dieser Trend vielleicht wieder ändern.

Aber eigentlich sind solche Stil-Veränderungen doch gut, finden Sie nicht?

Ja, sowieso! Ich bin ganz und gar dagegen, dass alles immer auf dieselbe Art gesungen wird. Jeder Interpret sollte seinem eigenen Geschmack folgen können.

Kurt Equiluz. Foto: Jasmin Ziegler

An einer Veränderung waren Sie ja maßgeblich beteiligt, nämlich an der Neuinterpretation aller Kantaten und Passionen von Johann Sebastian Bach durch Nikolaus Harnoncourt. Wenn man diese Aufnahmen mit berühmten Vorgängern vergleicht (etwa der "Matthäuspassion" unter Otto Klemperer), dann fallen wieder vor allem die Unterschiede auf.

Ja, da hat sich vieles verändert. Klemperer, Wilhelm Furtwängler - aber auch Hans Swarowski, mit dem ich die Passionen noch aufgeführt habe - hatten Eigenheiten, die man heute nicht mehr schätzt. Aber ich bin nicht der Meinung, dass sie Bach falsch verstanden hätten. Zu ihrer Zeit war ihre Auffassung richtig. Ich habe Bachs Passionen mit vielen Dirigenten einstudiert, und letzten Endes habe ich immer "meinen" Evangelisten gesungen. Aber die Dirigenten hatten das Glück, dass ich mich trotzdem an ihre Konzepte anpassen konnte. Wenn ich unter Karl Richters Leitung in einer Passion mitgewirkt habe, wusste ich, dass er ein romantisches Verständnis von Bachs Musik hatte. Als Harnoncourt dann alte Instrumente einsetzte, war diese Romantik nicht mehr möglich. So entstand dann auch eine andere Art des Singens.

Das heißt, Sie haben immer getan, was die Dirigenten wollten?

Ich habe mich bemüht, dem nahezukommen, was ein Dirigent wollte. Denn das Konzert ist ja sozusagen seine Inszenierung. Aber wenn mir etwas nicht gefallen hat, habe ich es schon gesagt. Das kann sich ein Sänger durchaus erlauben, vorausgesetzt, er weiß, was er will. Man darf nicht alles hinnehmen, was einem oktroyiert wird. Ein junger Sänger, der noch keinen Namen hat, muss sich allerdings vieles gefallen lassen. Aber ich glaube, in dieser Situa- tion war ich eigentlich nie. Ich habe immer meine Meinung gesagt, und ich denke, alle Dirigenten waren mit mir zufrieden.

Bei Bachs Musik gibt es ja geradezu ideologische Auseinandersetzungen um die historisch richtige Aufführungspraxis. Interessiert Sie dieser Streit?

Wer kann heute wirklich feststellen, was historisch richtig ist? Gehen wir einmal weg von Bach, betrachten wir die neue Mozart-, Händel- oder Schubert-Ausgabe: Jeder Herausgeber bringt andere Spielanweisungen, und jeder behauptet, dass er Recht hat. Wie soll sich ein junger Sänger da auskennen? Sind Schuberts Vorhalte lang oder kurz? Wie verhält es sich mit der Triolenangleichung?

Über solche Fragen wird heftig gestritten, aber ich denke, dass sich die Antworten von selbst ergeben, wenn man im Geist der Musik singt. Und das habe ich immer getan. Ich habe einfach die Noten genommen und auszudrücken versucht, was da drinnen steht. Und aus meinem Gefühl heraus habe ich zum Beispiel bei Schubert häufig längere Vorhalte gesungen, als die Herausgeber es für historisch richtig gehalten haben. Aber vielleicht habe ich es mit all diesen Problemen leichter gehabt als andere, weil ich ein sehr intuitiver Sänger bin. Ich habe ja oft Englisch, Französisch oder andere Fremdsprachen gesungen, und da bin ich manchmal gefragt worden: "Verstehst du diese Sprachen?" Darauf ich: "Nein, eigentlich nicht". "Aber du singst so, als ob du alles verstehen würdest!" Ja, dafür ist eben die Musik da. Ich habe mich nur nach dem gerichtet, was ich aus der Musik herausgehört habe.

Zum eigenen Vergnügen singt und spielt der Jubilar auch heute noch sehr gerne alte Schlager. Foto: Jasmin Ziegler

Aber wozu braucht man dann überhaupt so etwas wie musikhistorische Stilforschung?

Da muss ich jetzt ganz offen und ehrlich sagen: Damit habe ich mich nie ausführlich beschäftigt. Ich bin aufgewachsen mit der Chormusik, weil ich als Kind bei den Wiener Sängerknaben war. Dort habe ich sehr viel gelernt, habe damals schon vom Blatt singen können und niemals Schwierigkeiten mit der Musik gehabt. Ich höre, worauf es ankommt! Wenn ich Renaissance-Musik singe, kann ich keine Solo-Arie daraus machen, sondern muss mich nach den begleitenden Instrumenten richten und mich zurückhalten. Wenn es aber zur Musik passt, kann ich als Solist brillieren.

In der Oper zum Beispiel.

Ja, wo es eben am Platz ist. Ich lehne bis zum heutigen Tage diese genauen Einteilungen ab: Du bist ein lyrischer Tenor, du bist das, du jenes. Wenn es immer nur nach diesen Zuordnungen gegangen wäre, hätte ich eigentlich kaum etwas singen dürfen. Am Anfang habe ich eine reine, aber doch kleine Stimme gehabt. Das war der Grund, warum ich mir das Solofach gar nicht zugetraut habe. Ich habe im Opernchor begonnen, und wurde erst später als Solist engagiert. Das war schon ein sehr großer Schritt, und ich hätte nicht geglaubt, dass es noch eine Stufe höher gehen würde. Aber dann kam die Gesamtaufnahme der Bach-Kantaten mit Harnoncourt, die zwanzig Jahre lang gedauert hat und sicherlich ein Höhepunkt in meiner Laufbahn war. Aber einen Nachteil hatte das auch: Ich wurde abgestempelt...

...als Bach-Spezialist.

Genau! In der Zeit, in der ich mit diesen Aufnahmen beschäftigt war, wurde ich tatsächlich einmal gefragt: "Sagen Sie, singen Sie auch Haydn?" Das ist der Grund, warum ich mich immer dagegen gewehrt habe, abgestempelt zu werden. Ich habe mich ja nie spezialisiert, ich habe mich immer als Musiker gefühlt und gar nicht so sehr als Sänger. Man könnte vielleicht so sagen: Ich bin ein Musiker, der zufällig singt. Mein Hauptziel war immer, zu verstehen, was ein Komponist geschrieben hat. Und das ist mir, denke ich, gelungen.

Sie haben sich ja nicht nur mit Größen wie Bach beschäftigt, sondern auch mit unbekannten oder vergessenen Künstlern. Vor allem bemühen Sie sich um das Werk des Wiener Komponisten Benedict Randhartinger. Warum sollte man den kennen?

Ich habe selbst erst vor ungefähr 15 Jahren Bekanntschaft mit ihm gemacht. Ich wurde gefragt, ob ich nicht einmal Lieder von Randhartinger singen wollte. Ich war ja immer interessiert am Unbekannten. Es gibt Sänger, die sagen: "Ich habe meinen Schubert, und mehr brauche ich nicht." Das finde ich falsch. Jeder Komponist hat das Recht, aufgeführt zu werden. Und diese Lieder gefallen mir gut, also habe ich sie oft in Konzerten gesungen.

Jetzt bin ich dabei, seine Manuskripte für den Verlag der Rand-hartinger-Gesellschaft in Computerschrift zu übertragen. Außerdem entsteht ein Werkverzeichnis, an dem ich mitarbeite. Seit ich in Pension bin, habe ich ja Zeit für solche Sachen.

Randhartinger war ein Zeitgenosse Schuberts...

Ja, er ist 1802 geboren, gehörte in jungen Jahren zu Schuberts Freundeskreis, hat ihn aber sehr lange überlebt. Er ist über neunzig Jahre alt geworden und erst 1893 gestorben.

Wie lassen sich seine Lieder charakterisieren?

Ich würde ihn fast als "volkstümlich" einordnen. Randhartinger ist selbst Sänger gewesen und hat es verstanden, gesangliche Lieder zu komponieren. Es gibt von ihm unter anderem sehr schöne Goethe-, Heine- und Lenau-Vertonungen. Ich bemühe mich, seine Musik im Konzertbetrieb wieder unterzubringen.

Sind die Konzertveranstalter denn aufgeschlossen für solche Neuentdeckungen unbekannter Komponisten?

Leider nein. Es ist wirklich furchtbar, dass man in den Konzerten immer wieder dieselben Stücke bringt! Natürlich fürchtet jeder Konzerveranstalter, dass er einen leeren Saal hat, wenn er einen Namen aufs Programm setzt, den niemand kennt. Aber es gibt so viele gute Komponisten, die vergessen sind. Und wenn keiner da ist, der die Erinnerung an sie fördert, dann bleiben ihre Werke für immer in der Schublade liegen. Das finde ich nicht richtig.

Haben Sie andere Sänger dazu motivieren können, Randhartingers Lieder zu studieren?

Ich war ja 34 Jahre lang Lehrer für Lied und Oratorium am Konservatorium, erst in Graz, dann in Wien. Deshalb weiß ich, dass jeder Studierende vor allem darauf aus ist, möglichst bald Schubertlieder zu singen. So einfach geht das aber leider nicht. Deshalb wäre es sinnvoll, wenn junge Sänger mit den anspruchsloseren Liedern von Randhartinger anfangen würden, und sich dann weiter entwickeln. Aber viele wollen das nicht. Kaum können sie ein bisschen singen, wollen sie auch schon die "Winterreise" aufführen.

Man liest häufig, dass der Konzertbetrieb den Nachwuchs zur Zeit ziemlich ausbeutet: Junge, hübsche Menschen mit schönen Stimmen werden für große Partien eingesetzt, denen sie stimmlich noch nicht gewachsen sind. Sehen Sie auch diese Gefahr?

Ja. Viele treten zu früh auf, und nach zehn Jahren sind ihre Stimmen kaputt. Diese Gefahr besteht. Natürlich ist die Verlockung groß, zumal sich dadurch sehr viel Geld verdienen lässt.

Ja, die sogenannten "Stars" können Geld verdienen. Aber was passiert mit den vielen anderen, die keine Stars werden?

Die werden verheizt, und zwar weniger von den Dirigenten als von den Agenten. Die nämlich wollen die Zeit ausnützen, in der die jungen Künstler noch bei Stimme sind. Sobald die Leistung aber schlechter wird, kommt der nächste Sänger an die Reihe. Ich habe für dieses ganze Star-System noch nie etwas übrig gehabt. Ich bin immer ein bescheidener Mensch gewesen. Ich habe mich auch immer an Zusagen gehalten. Es gibt ja Sänger, die irgendwo zusagen, aber sofort wieder absagen, wenn sie anderswo ein lukrativeres Angebot bekommen. Das hat es bei mir nie gegeben.

Sie waren 33 Jahre lang an der Wiener Staatsoper engagiert. Haben Sie in dieser Zeit Lieblingspartien gehabt?

Ich war als Buffo-Tenor angestellt, was soll es da schon für Lieblingsrollen geben? Da singt man den Pedrillo ( "Entführung aus dem Serail" , Anm. ), den Monostatos ( "Zauberflöte" ) oder den Scaramuccio ( "Ariadne auf Naxos" ). Am besten hätte mir wahrscheinlich der David ( "Meistersinger" ) gefallen, aber den habe ich nie gesungen. Nein, Lieblingspartien gibt´s im Buffo-Fach nicht.

Macht Sie das unglücklich?

Ich war immer zufrieden, weil ich gewusst habe, dass ich im Konzertleben einiges vorzuzeigen habe. Das war mein Ausgleich. Um es ganz deutlich zu sagen: Die Oper war mein Beruf, von dem ich gelebt habe, Lied und Oratorium waren meine Hobbys. Nur den Tamino hätte ich wirklich gern einmal gesungen - aber nicht in der Staatsoper. In einem kleineren Haus hätte ich mir das zugetraut. Aber dazu kam es halt nicht.

Allerdings haben Sie auch Ausflüge ins Unterhaltungsfach unternommen. Können Sie darüber etwas erzählen?

In den Jahren 1948 bis 1955 war ich Mitglied in einem Vokalquartett. Und wir haben für viele damalige Schlagersänger die "Backgrounds" gesungen: Liane Augustin, Peter Alexander, Peter Kraus und so weiter. Das hat mir gut gefallen. Ich setze mich heute noch gerne ans Klavier und singe und spiele zum eigenen Spaß "Auf der Heide blüh´n die letzten Rosen" und solche Sachen.

Aber ich habe auch im Rundfunk sehr viel Unterhaltungsmusik gesungen, was mir von manchen Leuten übelgenommen wurde. Als ich in Graz als Hochschulprofessor berufen wurde, schaltete sich ein Ministerialrat ein und fragte: "Wieso können Sie dem Herrn Equiluz diesen Posten geben, wo der doch bei Heinz Conrads im Rundfunk Unterhaltungsmusik singt?" Ich habe das damals völlig idiotisch gefunden.

Singen Sie eigentlich heute noch öffentlich?

In der Veranstaltung zu meinem Geburtstag ( siehe Kasten ) werde ich es vielleicht versuchen, und ich lasse mich überraschen, wie es geht. Und wenn es gut geht - naja, vielleicht mache ich dann noch einmal einen kleinen Abend. Ich war nie ein sehr hoher Tenor, und natürlich wirkt sich das auch im Alter aus. Meine Stimme ist um eine kleine Terz gefallen, die ganz hohen Töne schaffe ich nicht mehr. Außerdem kann ich nicht mehr so schöne Bögen singen wie früher, weil ich öfter atmen muss. Aber da muss ich mich eben vom Text führen lassen. Theoretisch kann ich ja bei jedem Beistrich atmen, nur muss ich mir das bewusst einteilen. Aber wenn ich Atempausen einplane und alles in die baritonale Lage transponiere, könnte es meiner Meinung nach noch ganz gut gehen. Schließlich singe ich ja schon seit meinem zehnten Lebensjahr!

Zur Persn

Kurt Equiluz, geboren am 13. Juni 1929 in Wien, kam im Alter von zehn Jahren zu den Wiener Sängerknaben, wo er auch schon solistisch auftrat. 1944 begann er ein Studium der Harfe und der Musiktheorie an der Staatsakademie in Wien, von 1946 an absolvierte er ein Gesangsstudium.

1950 wurde Equiluz ins Ensemble der Wiener Staatsoper aufgenommen, dem er bis 1983 angehörte. Dort wurde er vor allem als Buffo-Tenor bekannt.

1964 übernahm Equiluz eine Klasse für Oratoriengesang an der Hochschule für Musik in Graz, 1981 wurde er zum Ordentlichen Professor für Lied und Oratorium an der Hochschule für Musik in Wien ernannt.

Auch als Sänger beschäftigte sich Equiluz intensiv mit Lied und Oratorium. Er gab zahllose Liederabende im In- und Ausland und war jahrzehntelang ein gefeierter Evangelist in den Passionen Johann Sebastian Bachs. 1980 wurde ihm der Titel "Kammersänger" verliehen, 1999 die Verdienstmedaille in Gold der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, 2000 erhielt er das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Niederösterreich.

Hinweis: Am 16. Juni wird der 80. Geburtstag von Kurz Equiluz öffentlich gefeiert. Im Gespräch mit dem Jubilar wird der Pianist Markus Vorzellner die Stationen aus dem Leben des Sängers Revue passieren lassen. Außerdem wird die erste CD des neu gegründeten Labels "Bock Productions" präsentiert. Die CD enthält die erste Schallplattenaufnahme von Kurt Equiluz (1942) sowie bisher unveröffentlichte Rundfunkmitschnitte und seltene Privataufnahmen aus sechs Jahrzehnten.

"Was soll ich singen - Bach oder Benatzky?" Ein Abend für und mit Kurt Equiluz. Dienstag, 16. Juni 2009, 19.30 Uhr, Haus Hofmannsthal, 1030 Wien, Reisnerstraße 37.

(Die Teilnehmerzahl ist limitiert. Die Plätze werden nach dem Zeitpunkt der Anmeldung unter der Adresse office@bocksmusicshop.at gereiht und vergeben. Auch die neue CD kann dort bestellt werden.)