Zum Hauptinhalt springen

Kurz, Amazon und Uber

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Wie die neuen Technologien die Politik und die Parteien auf den Kopf stellen - und den Wählern damit nützen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Es ist intellektuell verlockend, sich vorzustellen, was geschehen wäre, hätte Sebastian Kurz die ÖVP verlassen und eine eigene Bewegung gegründet so wie der neue französische Staatspräsident Emanuel Macron vor einem Jahr. Völlig ungewiss ist, wie viele Stimmen Kurz in diesem Falle gewinnen hätte können, aber ziemlich sicher ist, dass er zu einem einigermaßen relevanten Player geworden wäre. (Immerhin hat die vergleichsweise wenig profilierte Irmgard Griss im ersten Durchgang der österreichischen Präsidentschaftswahlen 2016 aus dem Stand etwa 19 Prozent der Stimmen bekommen. Man kann sich vorstellen, was eine wesentlich kräftigere Marke wie Kurz samt entsprechender finanzieller Power für ein Potenzial hätte.)

Vieles ist da plötzlich möglich, was noch vor einem Jahrzehnt völlig unmöglich geworden wäre. Politik ist wesentlich liquider geworden, traditionelle Organisationen und Strukturen sind plötzlich akut einsturzgefährdet und in ihrer Existenz bedroht. Neues kann viel schneller entstehen und erblühen als früher. Für den Wähler ist das durchaus ein erfreulicher Fortschritt.

Geschuldet ist dieser Paradigmenwechsel nicht Politischem, sondern hauptsächlich einer technologischen Innovation: den Sozialen Medien im Internet. Im Grunde erlebt der politische Betrieb jetzt zum ersten Mal, womit Wirtschaftsbetriebe schon seit Jahren konfrontiert sind: eine sogenannte disruptive Innovation. Also eine neue Technologie, die bisherige traditionelle Anbieter nicht langsam konkurrenziert, sondern im schlimmsten Fall auszulöschen droht. So wie die Massenproduktion von Autos die Kutschen, Musikdownloads die CD, Digitalkameras die analogen Fotoapparate, Amazon den herkömmlichen Einzelhandel oder demnächst vielleicht Uber die Taxis ersetzt. Und jetzt blüht eben auch den politischen Parteien eine Bedrohung, die erst durch das Internet möglich geworden ist. Das Start-up wird plötzlich zur politischen Kategorie mit dem Zeug, Polit-Dinos zu killen. Manchmal sogar durch die bloße Drohung, disruptive Technologien zu benutzen. Denn Kurz’ Übernahme der ÖVP wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit undenkbar gewesen, wäre den relevanten Entscheidern nicht höchst bewusst gewesen, was ihnen blühen hätte können, hätte Kurz einen auf Macron gemacht.

Mit den Möglichkeiten, die disruptive Technologie im politischen Geschäft bietet, werden vermutlich auch noch andere Parteien oder politische Gruppierungen mehr oder weniger schmerzhafte Bekanntschaft machen. Natürlich war das alles auch früher schon möglich - wie etwa Jörg Haider seinerzeit vortanzte -, aber es war viel schwieriger, teurer und damit mühsamer, was in Summe durchaus einen qualitativen Unterschied macht.

Der Demokratie wird das nützen, weil mehr Wettbewerb auch hier mehr Kundennutzen bringt und den Druck auf die Parteien und Listen erhöht, auf die Wähler zu hören. Oder wünscht sich allen Ernstes jemand die Zeiten zurück, als die politische Speisekarte ausschließlich aus SPÖ und ÖVP (sowie einer mehr oder weniger irrelevanten FPÖ) bestand, die das Land über Jahrzehnte hinweg einfach ungestört unter sich aufteilen konnten?