ÖVP mit 30-Prozent-plus - vom Juniorpartner zur stärksten Kraft - Kurz hat alle Karten in der Hand.
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Wien. Die ÖVP und Sebastian Kurz starteten als Favoriten in diesen Wahlsonntag: Den ganzen Wahlkampf über führte die neue türkise Bewegung in sämtlichen Umfragen, doch die Folgen der Silberstein-Affäre brachten einen schwer zu kalkulierenden Unsicherheitsfaktor ins Rennen um Platz eins.
Entsprechend frenetisch und erleichtert jubelten die zahlreichen ÖVP-Anhänger am Sonntag kurz nach 17 Uhr, als die berühmten Prozentbalken der ersten Hochrechnungen der Meinungsforscher über die Bildschirme im Kursalon Hübner flimmerten, wo die Liste Kurz zu großen Wahlkampfparty geladen hatte. Der heiß ersehnte Platz eins ist mit hochgerechneten rund 31,5 Prozent fix.
ÖVP-Strategie ging auf
Damit müssen die Grabreden auf die ÖVP ein weiteres Mal aufgeschoben werden. Wie schon nach den Nationalratswahlen 1999, als die Partei auf den dritten Platz zurückfiel, und dann wieder 2013, als die Volkspartei bei nur mehr 24 Prozent der Stimmen landete und ein weiteres Mal den Gang in die große Koalition antrat. 2002 war die Partei Profiteur des politischen Amoklaufs der FPÖ, der die Volkspartei sensationell auf 42 Prozent und Platz eins katapultierte.
Und jetzt gelingt Sebastian Kurz ein ähnliches Kunststück, wenngleich unter gänzlich anderen Rahmenbedingungen. Erstmals gelingt einer Partei in Österreich aus der undankbaren Rolle des Juniorpartners in einer Koalition der Sprung auf Platz eins. Das haben noch nicht einmal Bruno Kreisky und Wolfgang Schüssel geschafft.
Der Sieg ist beeindruckend und historisch. Obwohl: Umfragen hatten zeitweise ein noch stärkeres Ergebnis erwarten lassen. Die Schlammschlacht, die sich SPÖ und ÖVP im Gefolge der Silberstein-Affäre lieferten, spülten die FPÖ am Wahltag weit nach oben. Womöglich sogar bis auf Platz zwei vor der SPÖ.
Entscheidend für den Coup war eine Strategie, die zuvor als illusorisch abgetan wurde. Dabei hat sie viel mit Illusion zu tun. Dem gerade einmal 31-jährigen Außenminister, der erst im Mai des heurigen Jahres die ÖVP-Spitze übernahm, ist es gelungen, die ÖVP in das türkise Gewand einer neuen Bewegung zu hüllen und diese als politische Kraft der Erneuerung zu positionieren. Das ist eine bemerkenswerte strategische Leistung, wenn man bedenkt, dass die ÖVP seit 1986 ununterbrochen Teil der Bundesregierung ist - und Kurz selbst ist eines der längstdienenden Mitglieder der aktuellen Ministerriege. Seit 2011 als Staatssekretär für Integration und seit 2013 als Außen- und Integrationsminister.
Dabei ist es nicht leicht zu fassen, worin genau das Erfolgsgeheimnis des politischen Phänomens von Sebastian Kurz besteht. Sicher spielen die Themen Integration und Migration eine wichtige Rolle, wo er als Erster in der Regierung auf Grenzkontrollen und eine restriktive Flüchtlingspolitik drängte. Für seine Gegner kopiert er damit die FPÖ, seine Anhänger sehen darin Gebote von Vernunft und Hausverstand. Weitere Faktoren sind seine Rhetorik, seine Fähigkeit, auf fremde Menschen freundlich und nahbar zugleich zu wirken. Und natürlich sein Versprechen, Land und Politik umfassend zu erneuern und zu modernisieren, auch wenn viele Ankündigungen im Detail vage geblieben sind.
Der neuen, nunmehr türkisen ÖVP ist es mit Kurz im Wahlkampf gelungen, ein Versprechen für die Zukunft abzugeben und für den Moment die jüngere wie längere Vergangenheit auszublenden. Was für ein Politiker in Sebastian Kurz steckt, wird erst die Zukunft weisen.
Kanzler sein , wird schwerer
Es ist das eine, Ressortverantwortung zu tragen, aber etwas ganz anderes, eine Regierung zu führen, und das womöglich mit einem Partner, der politisch auf Augenhöhe mit der Kanzlerpartei agieren will. Und dann werden zweifellos auch die Fliehkräfte in der Volkspartei zunehmen, etwa wenn es an das Bohren so harter Bretter wie Veränderungen in den Bereichen Föderalismus, Förderungen oder Gesundheit geht.
Und dann gibt es ja auch noch einen Koalitionspartner, egal wie dieser heißt. So oder so: Sebastian Kurz hat alle Chancen, der mit Abstand jüngste Kanzler der Republik zu werden.
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