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Kurz’ Millionen-Hokuspokus

Von Alexander Dworzak

Politik

39 Millionen Euro will das Außenministerium bis 2019 einsparen - und erklärt nicht, wie konkret. Ausgemacht sind mit dem Finanzminister gar 84 Millionen Euro. Dafür will man sich eine Präsenz im Silicon Valley leisten, deren Sinn zweifelhaft ist.


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Wien. Einst Bethaus, heute Botschaft. Und morgen? Im Herzen von Vilnius befindet sich das zweistöckige Haus aus dem 16. Jahrhundert. Eingebettet in die pittoreske Altstadt der litauischen Hauptstadt, diente es ab 1861 der jüdischen Gemeinde. 80 Jahre später, mit dem Angriff Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion, wurde das Haus seiner Bestimmung beraubt - und Juden ihrer Freiheit. 40.000 wurden in zwei Gettos in Vilnius gepfercht, die Zwischenstation für Konzentrations- und Vernichtungslager waren. An die Geschichte des Hauses mit der Adresse Gaono gatve 6 erinnert mittlerweile eine dort angebrachte Gedenktafel. Einen Stock darüber wehen die Flaggen Österreichs und der EU. Noch. Denn spätestens im Herbst 2018 wird die österreichische Botschaft in Litauen geschlossen.

Botschaftsschließungen gehören zur Ende Juni verkündeten neuen Strategie von Außenminister Sebastian Kurz - die "Wiener Zeitung" berichtete. Neben Litauen sind auch die Vertretungen in Estland, Lettland, Malta und Venezuela betroffen. Wenn schon nicht politisch, will Österreich aus dem Abzug aus Litauen finanziell Kapital schlagen. Das Gebäude ist im Eigentum des Außenministeriums (BMEIA) und wird aller Voraussicht nach verkauft.

Minus 17 Millionen Euro an Rücklagen 2014

39 Millionen Euro will das Ministerium ab kommendem Jahr bis 2019 einsparen. Liegenschaftserlöse seien nur ein Punkt des Sparprogramms, wie Kurz’ Sprecher Gerald Fleischmann sagt: Günstigere Amtswohnungen gehörten ebenso dazu wie die Streichung bereits geplanter Bauprojekte. Mithilfe regionaler Verwaltungshubs sollen die operativen Kosten an den Botschaften reduziert werden und die Übertragung der Budgetverantwortung an diese soll ebenfalls Einsparungen bringen. Im Verwaltungsbereich möchte man verstärkt auf lokal angestellte Auslandsösterreicher statt Entsandte zurückgreifen. "Fliegende Konsulate" und Kolokationen mit anderen österreichischen Dienststellen beziehungsweise europäischen Partnerländern bergen laut Fleischmann ebenfalls Einsparungspotenzial.

Große Umwälzungen stehen also bevor. Das drückt die Länge der Agenda noch mehr aus als der von Sebastian Kurz vorgegebene Sparbetrag in Höhe von 39 Millionen Euro. Doch gemessen am Budget des Außenministeriums handelt es sich um tiefgreifende Einschnitte. Lediglich 402,65 Millionen Euro betrug das Budget des BMEIA im Jahr 2013.

Das Außenministerium verweigert aber die Auskunft, wie die anvisierten 39 Millionen Euro aufgetrieben werden sollen. Die Frage der "Wiener Zeitung" nach den drei größten Sparpotenzialen und den dabei erwarteten Beträgen bleibt unbeantwortet.

Neben den nebulosen 39 Millionen Euro droht dem BMEIA auch aufgrund des Bundesfinanzrahmens für 2016 bis 2019 Ungemach. Als Gegenfinanzierung für die Steuerreform müssen in der gesamten Verwaltung in jenen Jahren insgesamt 3,3 Milliarden Euro gespart werden. Das Außenministerium spricht gegenüber der "Wiener Zeitung" von "Kürzungen" über 21 Millionen Euro pro Jahr, die im eigenen Ressort bevorstünden. Johannes Frischmann, Sprecher von Finanzminister Hans Jörg Schelling, bestätigt den Betrag. "Kostendämpfungen" seien das aber, keine Einsparungen. Wie auch immer man die Maßnahmen nennt, sie summieren sich auf 84 Millionen Euro - 45 Millionen Euro mehr, als Kurz mit seiner Strukturreform einzusparen gedenkt.

Zur Orientierung daher ein Blick auf die Situation in Schweden, das als EU-Mitglied, Nicht-Nato-Staat und gemessen an der Einwohnerzahl mit Österreich vergleichbar ist. Vier Botschaften in Unionsländern wurden in den vergangenen Jahren geschlossen: in Irland, Bulgarien und Luxemburg 2010 sowie in Belgien 2011. Gegenüber dem Jahr 2009, dem letzten vor den Schließungen, seien 40 Millionen Schwedische Kronen eingespart worden, erklärt ein Sprecher des dortigen Außenministeriums der "Wiener Zeitung". Auf Basis des Kronen-Kurses Ende Dezember 2009 entspricht das knapp 3,88 Millionen Euro. Auch wenn die Zahlen nicht eins zu eins auf Österreich umlegbar sind, zeigen sie doch deutlich, dass die Schließung von Vertretungen nur einen kleinen Teil der Kosteneinsparungen einbringen kann.

Mal ja, mal nein zu Personalabbau im Ministerium

Muss das BMEIA also einen Teil seines Tafelsilbers veräußern? Dieses besteht aus dem Immobilienportfolio und reicht von Amtsräumlichkeiten für Botschaften, Generalkonsulate, Kulturforen und Vertretungen bei internationalen Organisationen bis hin zu Wohnungen. Rund 230 Liegenschaften beziehungsweise 350 Objekte umfasst das Spektrum. Etwas mehr als die Hälfte der Liegenschaften ist im Eigentum der Republik, der Rest wird angemietet. Von den bis 2018 zu schließenden Botschaften befindet sich neben jener in Vilnius auch jene in Caracas im Besitz des Ministeriums.

Neben den Botschaften stellt sich die Frage, welche Auswirkungen ein restriktives Sparprogramm auf Entwicklungszusammenarbeit und Kulturforen hat.

Budgetlöcher könnten auch durch das Auflösen von Rücklagen gestopft werden - sofern der Finanzminister zustimmt. Bereits im vergangenen Jahr hat das BMEIA ausgiebig auf die Rücklagen zurückgegriffen, bis Ende 2014 sanken diese um 17 Millionen Euro, wie Daten des Rechnungshofs zeigen: von 104,25 auf 87,25 Millionen Euro.

Widersprüchliche Angaben macht das Außenministerium in Sachen Personal. "Es werden im BMEIA keine Mitarbeiter abgebaut", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme der Abteilung Presse und Information gegenüber der "Wiener Zeitung".  Ende Juni berichtete hingegen die Austria Presse Agentur, Personalabbau im diplomatischen Dienst solle es laut Ministerium "im Großen und Ganzen nicht geben". "Allenfalls kann es durch Zusammenlegungen sowie der verstärkten Umstellung auf lokal angestellte Mitarbeiter zu Veränderungen, also Kürzungen, im Verwaltungsbereich kommen."

Bereits jetzt ist die personelle Situation im Außenministerium angespannt: "Wir sind nur mehr Haut und Knochen", erklärt ein Diplomat, der anonym bleiben möchte. Neu ist dieser Zustand allerdings nicht. Aus dem online letztverfügbaren außen- und europapolitischen Bericht des BMEIA für 2013 geht hervor, dass allein in jenem Jahr 100 Bedienstete nicht pensionsbedingt ausgeschieden sind oder karenziert waren, etwa für den Europäischen Auswärtigen Dienst - eine stattliche Zahl angesichts 1183 Bediensteter Ende 2013. Zum Vergleich: Im Jahr 1990 zählte das Ministerium noch 1500 Mitarbeiter. Die Unzufriedenheit mit der Personallage kommt in dem Bericht deutlich zum Ausdruck: "Diese Abgänge (an Personal 2013, Anm.) wurden nur zum Teil durch Neuaufnahmen kompensiert, obwohl das BMEIA schon jetzt die vom BKA (Bundeskanzleramt, Anm.) für 2016 gesetzte Zielvorgabe an Planstellen und Vollbeschäftigungsäquivalenten unterschreitet."

WKO ist seit 2010 im Valley - ohne ständige Präsenz

Während der Rotstift regiert, soll in einer der teuersten Gegenden der Welt, dem Silicon Valley, eine neue Vertretung des Außenministeriums eröffnet werden. In Partnerschaft mit dem Wissenschafts-, Forschungs- und Wirtschaftsministerium (BMWFW) sowie der Wirtschaftskammer (WKO) wolle man laut Außenministerium "österreichischen Start-
ups, die sich im Silicon Valley ansiedeln wollen, vor Ort konkrete Hilfestellung bieten; bei der Vernetzung mit lokalen Partnern und Investoren helfen und logistische Unterstützung bieten; die Beziehungen zu großen, relevanten Unternehmenszentralen wie Google, Facebook etc. weiter intensivieren, die für viele staatliche Politikbereiche wie z.B. Sicherheit, Integration, Deradikalisierung etc. eine zentrale Rolle spielen". Das alles geschehe ergänzend zu dem bestehenden Förderprogramm "Go Silicon Valley", sagt das BMEIA.

Klingt gut, ist in der Praxis aber wohl völlig unrealistisch, wie sich gerade am Beispiel von "Go Silicon Valley" zeigt. Jenes Programm ermöglicht österreichischen KMU der IT-Branche den Einstieg in den US-Markt und den begehrten Zugang zu Risikokapital. Seit 2010 ist die Wirtschaftskammer mit "Go Silicon Valley" - das von WKO und Wirtschaftsministerium finanziert wird - in der Technologiehochburg vertreten. Die tatsächliche Betreuung ist aber ausgelagert. "Es ist unmöglich für ein Start-up, einen Termin bei den Googles dieser Welt oder einer Venture-Capital-Firma auszumachen. Auch wir können ihnen so ein Netzwerk nicht zur Verfügung stellen", erklärt Wirtschaftsdelegierter Rudolf Thaler, der das AußenwirtschaftsCenter in Los Angeles leitet, der "Wiener Zeitung".

Schon die Auswahl der österreichischen Firmen erfolgt daher extern, nämlich durch einen "Business Accelerator" aus dem Silicon Valley. Geschäftsbeschleuniger sind sie im wörtlichen Sinne: Sie prüfen etwa, ob eine Firma über die entsprechenden technologischen Fähigkeiten verfügt, aber auch, ob der Accelerator das notwendige Netzwerk in der jeweiligen Branche besitzt. Die ausgewählten Start-ups können bei ihrem Accelerator - Hauptpartner der WKO ist das "Plug and Play Tech Center" mit Sitz in Sunnyvale - einen Arbeitsplatz nutzen, werden in die US-Geschäftsgepflogenheiten ebenso eingeführt wie in Networking mit Kapitalgebern und möglichen Geschäftspartnern und erhalten ein Verkaufsgespräch, genannt Pitch, vor einem hochkarätig besetzten Finanzierungsforum.

Die Grundregel ist einfach: "Es spielt sich im Valley nur darum ab, zu pitchen", sagt Thaler. Personen werden am laufenden Band getroffen, um sie von der eigenen Idee und Firma zu überzeugen. 250 Kontakte hat sich beispielsweise Dennis Zimmer, Gründer und Geschäftsführer der Wiener Softwarefirma Opvizor, in seinen drei Monaten im Valley erarbeitet. Das Silicon Valley ist also ein Geschäftsanbahnungsprogramm, bei dem man nur mithilfe eines Geschäftsbeschleunigers weiterkommt. Dass Außen- und Wirtschaftsministerium in diesem Umfeld reüssieren können, ist äußerst zweifelhaft.

Aufgrund der externen Netzwerk-Partner ist nicht einmal für die Wirtschaftskammer eine ständige Präsenz im Valley notwendig. Bisher reiste ein Mitarbeiter des AußenwirtschaftsCenter eine Woche pro Monat von Los Angeles in das Tal der Technologieträume. Wirtschaftsdelegierter Thaler lässt zwar Bereitschaft durchblicken, dass die WKO mit einem Mitarbeiter in der neuen österreichischen Vertretung noch stärker präsent sein könnte. Darüber hinausgehende Leistungen wie die Beteiligung an den Mietkosten für die gemeinsame Vertretung sieht er dagegen nicht auf seiner Agenda. Und ob das Wirtschaftsministerium überhaupt einen eigenen Vertreter ins Silicon Valley entsendet, ist noch gar nicht fix: nur falls Notwendigkeit bestehe. Bis Ende 2015 gebe es eine erste Bewertung, sagt der Sprecher von Minister Reinhold Mitterlehner. Er sieht die Rollen klar verteilt: "Die Anfangsphase macht das Außenministerium im Zuge der Neustrukturierung." Überzeugte Zusammenarbeit klingt anders.