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"Kurz schlägt große Skepsis entgegen"

Von Werner Reisinger

Politik
© Foto: Erik Marquart

Der Kommunikationsberater Johannes Hillje im Interview über den Wahlerfolg von Sebastian Kurz und das Thema Migration.


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Wien. Mit seinem Programm für "Veränderung" scheint Sebastian Kurz einen Nerv getroffen zu haben. Vor allem aber setzte der Chef der "neuen Volkspartei" auf ein Thema, das seit vielen Jahren fast ausschließlich von der FPÖ bespielt wurde: Migration und Zuwanderung. Kurz habe das Programm der FPÖ kopiert, sagt selbst FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, so gesehen hätten eigentlich 56 Prozent der Wähler "für freiheitliche Positionen" gestimmt.

Nicht nur in Österreich, auch in Deutschland würde eine Mehrheit mit einer schwarz-blauen Koalition in Österreich rechnen, sagt der deutsche Politikberater Johannes Hillje. Er beobachtet seit Jahren den politischen Erfolg rechtspopulistischer Parteien, auch der FPÖ. In seinem neuen Buch "Propaganda 4.0" erklärt Hillje, wieso es nicht ausreicht, nur auf die Wahlergebnisse der Rechtspopulisten zu achten.

"Wiener Zeitung":Sie schreiben in Ihrem Buch, die Rechtspopulisten, auch die FPÖ, hätten es geschafft, mit ihren Themen nicht nur den politischen Diskurs zu dominieren, sondern diese auch auf die Agenda der anderen Parteien zu setzen. Denken Sie nicht, dass das Thema Migration tatsächlich sehr viele Menschen beschäftigt?

Johannes Hillje: Zurecht bewegt das Thema viele Menschen. Aber: Es kommt nicht nur darauf an, dass wir darüber sprechen, sondern vor allem wie wir über das Flüchtlingsthema sprechen. Das "wie" ist entscheidend dafür, zu welchen realen politischen Lösungsvorschlägen man kommt. Rechtspopulisten deuten die Flüchtlingsbewegungen als Naturkatastrophe, als "Tsunami", als "Welle". So ein Framing setzt sich in gewisser Weise durch, und der Diskurs bewegt sich hin zu Strategien der Eindämmung, der Abschottung und der Begrenzung – das, was man eben auch bei einem Orkan macht. Ein Diskurs über Ursachen findet so gut wie nicht mehr statt. Das ist auch ein Versagen aller anderen Parteien.
Es geht nicht nur um die Wahlergebnisse der Rechtspopulisten, sondern darum, wie sie ihre Themen durchsetzen. Bei Sebastian Kurz ist das gelungen.

Wieso sind Sie sich so sicher, dass das starke Setzen auf das Thema Migration nicht einfach eine Wahlkampfmasche war, sondern die Politik von Kurz nachhaltig prägen wird?

Kurz ist unbestritten ein Meister der politischen Kommunikation und der Inszenierung. Wir leben in einer gehetzten Mediendemokratie, wo nicht nur im Wahlkampf, sondern fast permanent über Umfrage- und Beliebtheitswerte geachtet wird. Kurz weiß, wie wichtig es ist, auch während der Kanzlerschaft positive Umfragewerte zu haben. Denn die Stimmungslage könnte sich sehr schnell gegen ihn drehen. Deshalb wird er wohl versuchen, diese Themen auch weiter zu benutzen. Eine Diskussion über seine Kanzlerschaft will er nicht haben. Sollte das Migrationsthema irgendwann nicht mehr ziehen, wird er eine Kurskorrektur vornehmen, bis dahin wird er weiter auf das Thema setzen.

Viele Zeitungen der Visegrad-Staaten in Osteuropa jubilieren ob des Erfolgs von Sebastian Kurz. Sie denken, in Sebastian Kurz eine Art Vermittler und Fürsprecher gefunden zu haben. Wie wird seine Politik in Berlin dun in Brüssel ankommen?

In Deutschland wird das österreichische Wahlergebnis, besonders der Erfolg der FPÖ, als Warnschuss wahrgenommen, der dazu beiträgt, die AfD nicht als Eintagsfliege zu betrachten. Das Kurz sich im Wahlkampf als der Mann präsentierte, der die Balkanroute geschlossen hat, wird Merkel nicht vergessen. Schließlich war das ihr Verdienst, sie war es, die den Türkei-Deal zustande gebracht hat. Mit Emanuel Macron hat Merkel nun auf europäischer Ebene einen Partner, mit dem sie proeuropäische Reformen angehen kann. Kurz hat sich nicht als so ein Partner präsentiert.

Sollte es tatsächlich zu einer ÖVP-FPÖ Koalition kommen und die FPÖ den Innenminister stellen, würden die Visegrad-Staaten, vor allem Ungarns Premier Viktor Orban, in diesem tatsächlich einen Verbündeten finden. Das würde die Gräben in Europa zwar nicht zwingend weiter vertiefen, wohl aber das Finden von gemeinsamen Lösungen erschweren. Deshalb betont Sebastian Kurz aktuell in allen Medien, auch hier in Deutschland, er sei ein überzeugter Pro-Europäer. Das glauben wir ihm zwar auch, aber: Proeuropäisch, das ist aber nicht mehr das, was es vor dem Brexit war. Bis dorthin waren das die Visionäre, jene Politiker, die für eine weitere europäische Integration eintraten. Heute reicht es, keinen Austritt aus der EU zu fordern, oder sich nicht dezidiert dem Kurs der Visegrad-Staaten anzuschließen, um als Pro-Europäer zu gelten. Da kam es zu einer Nivellierung nach unten. Kurz ist auf keinen Fall ein europäischer Visionär. Deshalb schlägt ihm aktuell in Deutschland auch große Skepsis entgegen.

In Ihrem Buch schreiben Sie, die von Rechtspopulisten wie der FPÖ aufgebaute Gegenöffentlichkeit, vor allem im Internet, würde die Demokratie destabilisieren. Wieso?

An alternativen Medien gibt es jetzt einmal prinzipiell nichts Negatives auszusetzen. Sie sind auch eine Chance auf Demokratisierung der Öffentlichkeit. Rechtspopulisten setzten diese Mittel aber zu antidemokratischen Zwecken ein. Den Massenmedien wird ihre Rolle als Vierte Gewalt, als Kontrollinstanz, abgesprochen. Das ist ein Angriff auf einen zentralen Pfeiler der Demokratie. In den diversen "alternativen Medien" der Rechten wird nicht nach journalistischer Ethik gearbeitet. Das ist parteiisch, tendenziös, oft auch einfach Fake News, also alles andere als objektiv. Wenn dieses Verständnis Schule macht, dass alle Medien parteiisch sind, dann sind Medien nicht mehr Kontrolle, sondern sie sind Instrumente.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus den USA. Vor der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten sagten rund 75 Prozent der Anhänger der beiden großen Parteien, also der Demokraten und der Republikaner, dass sie die Rolle der Medien als Vierte Gewalt unterstützen. . Sechs Monate nach der Wahl und permanentem Medien-Bashing durch Trump stimmten dem nur mehr 30 Prozent der Republikaner, aber umgekehrt 90 Prozent der demokratischen Wähler zu. Die Frage der Kontrollfunktion der Medien und deren Akzeptanz ist also zu einer Frage der Parteizugehörigkeit geworden.

So, wie man für oder gegen einen Mindestlohn sein kann, kann man jetzt für oder gegen "die Medien" sein. Das ist eine demokratiepolitisch sehr bedenkliche Entwicklung. So etwas ist keinem europäischen Land zu wünschen.

Müssen Parteien der Mitte oder Links der Mitte zwangsweise auf die Logik des Thema Migration aufspringen?

Einen Fehler, den diese Parteien gemacht haben, war das Nicht-Behandeln von schwer zu lösenden Problemen. Rechtspopulismus aber funktioniert über Tabubruch. Denken Sie an die Werbespots der AfD im TV: Dort sind alleinerziehende Mütter zu sehen, die Anerkennung für ihre Leistung im Leben fordern. In Deutschland haben wir zusehend Probleme mit den Strukturen im ländlichen Raum. Die Versorgung dort wird schlechter. Das alles sind von den Mitte und Mitte-Links-Parteien im politischen Diskurs tabuisierte Themen. Die Menschen haben das Gefühl, dass Themen, die für sie Realität sind, einfach nicht angesprochen werden. Man darf diesen Tabubruch nicht der Rechten überlassen, sondern sollte zu den Kernproblemen der Lebensrealität der Menschen vordringen. Und das sind eben vor allem auch Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Verteilung von Wohlstand.

Zur Person

Johannes Hillje (32) ist Politikberater in Berlin und Brüssel. In seinem neu erschienen Buch "Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten Politik machen" (Dietz Verlag) beschäftigt sich Hillje mit der Kommunikationsstrategie der rechtspopulistischen Parteien in Europa.