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Kurz - und einige Lehren

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Kurz ist an sich selbst gescheitert. Sein Aufstieg und Fall halten aber weitere Lehren für die Politik bereit.


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Der Aufstieg und Fall von Sebastian Kurz bietet eine Fülle an wertvollen Lektionen. Noch die positivste ist vielleicht auch die wichtigste Erkenntnis: Die Marginalisierung der etablierten Mitte-Parteien des politischen Zentrums ist nicht unumkehrbar. Es gibt Strategien, mit denen sich der Ansturm der Protestbewegungen abwehren lässt. Kurz hat das bei zwei Wahlen bewiesen, am anschließenden Regieren und an der damit verbundenen Verantwortung ist er gescheitert.

Vielleicht ist Kurz ein Einzelfall. Womöglich sind die Talente, die unter den Bedingungen einer digitalen Öffentlichkeit benötigt werden, um Wahlen zu gewinnen, aber auch grundsätzlich unvereinbar mit den Eigenschaften, die erfolgreiches Regieren erfordert. Oder anders ausgedrückt: Kurz war für die ÖVP unerreicht als Wahlkämpfer und Identifikationsfigur, doch sein Stil hat die Politik dieses Landes in einem Ausmaß polarisiert, das zuvor allenfalls der FPÖ attestiert worden war.

Der doppelte Ex-Kanzler hat Freund wie Feind auf eine emotionale Achterbahnfahrt mitgenommen, die nun ihr bereits absehbares Ende gefunden hat. Die beispiellose Fokussierung auf den Politiker Kurz, der stets mit der Person in eins gesetzt wurde, überdeckt eine weitere bittere Erkenntnis: Die vergangene Dekade hat sich für die Politik als Knochenmühle erwiesen, die Politikerinnen und Politiker immer schneller anzog und am Ende beschädigt ausspuckte. Das ist teils unvermeidlich. Politik ist ein hartes Geschäft, in dem es um viel geht - für Land und Leute, aber auch für die Politiker. Da ist zu Recht kein Spielraum für Grenzüberschreitungen von Recht und Anstand. Die türkise ÖVP hat das falsch eingeschätzt.

Zugleich sorgt jedoch eine immer aggressivere digitale Öffentlichkeit dafür, dass ein Engagement für die Res Publica von immer mehr Fähigen abgelehnt wird. Was einst als Auszeichnung verstanden wurde, gilt heute als Zumutung. Das ist Raubbau am Fundament unserer Demokratie.

Zurück zu Kurz. Dieser vermied es am Donnerstag, sich selbst als Opfer finsterer Mächte in Justiz, Medien und Opposition darzustellen, obwohl viele seiner Anhänger es so sehen. Näher an der Realität ist, dass Kurz Opfer seines eigenen Politikverständnisses geworden ist, das verlässlich Form über Inhalt stellte. Vor allem stolperte er über den Mangel an Gespür für die Grenzen legitimer Macht.

Wie es mit der ÖVP jetzt weitergeht, ob tatsächlich Innenminister Karl Nehammer ÖVP und Kanzleramt übernimmt, wird sich schnell weisen, ist aber derzeit nebensächlich. Das Land liegt im vierten Lockdown, die Pandemie ist nicht im Griff. Die Menschen haben ein Recht auf eine Regierung, die für sie arbeitet.