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Kurz vor Wahl zerfällt polnische Regierung

Von Eva Krafczyk

Politik

Warschau - Nur zweieinhalb Monate vor den Parlamentswahlen in Polen droht nicht nur die totale Erosion der konservativen Parteien, sondern auch die Regierung zu zerbröckeln. "Es war eine schwierige Entscheidung, aber ich kann nicht der Abberufung des Justizministers zustimmen", gab Kulturminister Kazimierz Ujazdowski in der Vorwoche seinen Rücktritt bekannt. Justizminister Lech Kaczynski hatte zuvor in der Machtprobe mit Ministerpräsident Jerzy Buzek den Kürzeren gezogen und war nach einem Konflikt mit der Verfassungsschutzbehörde UOP entlassen worden.


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Eine Regierungskrise kurz vor den Wahlen kommt niemals gelegen, doch in diesem Fall könnte es für die konservative "Wahlaktion Solidarität" (AWS), die seit gut 13 Monaten als Minderheitsregierung in der Regierungsverantwortung ist, kaum schlimmer kommen. Denn schon seit Monaten schrumpfen die Umfragewerte der Mitte-Rechtspartei. Ende Juni wollten nur fünf Prozent der Polen für die AWS stimmen, die sich damit allmählich Sorgen machen dürfte, ob sie am 23. September den Sprung über die fünf-Prozent-Hürde schafft.

Konservative Wähler haben in diesem Jahr ohnehin reichlich Auswahl. Kaczynski hatte schon vor dem Rausschmiss aus dem Kabinett das offensichtlich sinkende Schiff AWS verlassen und brach mit seinem Zwillingsbruder Jaroslaw zu neuen parteipolitischen Ufern auf. Unter dem Motto "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) bildeten die Brüder eine neue politische Gruppierung, die sich vor allem Kampf gegen Kriminalität und Korruption auf die Fahnen schreibt. Lech Kaczynski, der als Minister auch Generalstaatsanwalt war, hatte die Justiz zum energischen Vorgehen ermuntert. Beim polnischen Wähler kommt das gut an. Derzeit wollen acht Prozent für die PiS stimmen.

Kulturminister Ujazdowski wiederum gehört dem "Bündnis der Rechten" an - bisher eine der zahlreichen Gruppen, die ursprünglich in der AWS zusammengeschlossen waren. Nun aber will er mit seinen 18 Sejm-Abgeordneten zur neugegründeten PiS-Fraktion wechseln.

Die Reihen der AWS haben sich seit Jahresbeginn ohnehin beträchtlich gelichtet. Im Jänner nämlich entstand die liberal-konservative "Staatsbürgerliche Plattform", zu deren Gründern der populäre Parlamentspräsident Maciej Plazynski, lange einer der führenden AWS-Politiker, gehört. Mit Forderungen nach weniger staatlicher Einmischung, Förderung des freien Unternehmertums und dem Kampf gegen Korruption können sie derzeit auf 18 Prozent der Stimmen hoffen und sind damit die zweitbeliebteste Partei nach den mit weitem Abstand führenden Sozialdemokraten, für die 45 Prozent der Wähler stimmen wollen.

Besonders bitter ist die Konkurrenz der Plattform für die liberale Freiheitsunion (UW), die wie die AWS einen großen Teil ihrer führenden Vertreter an die Konkurrenz verlor. Nun, da nur noch drei Prozent der Wähler für die UW stimmen wollen, könnten ausgerechnet die ehemaligen Bürgerrechtler und Intellektuellen, die vor zwölf Jahren die politische Wende in Polen mitbestimmten, als Splitterpartei ins politische Aus geraten.

Regierungschef Buzek allerdings hat die Wahl, ob er sich mit den Veränderungswünschen seines Kulturministers abfinden will: Er kann sich weigern, den Rücktritt anzunehmen.