Kaum ein Land konnte der Abwertungsspirale damals entkommen. | Protektionismus gerät leicht außer Kontrolle. | Wien. Wenn die Staatsspitzen der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) im November in Südkorea zusammenkommen, stehen sie vor ihrer bislang wohl größten Herausforderung. In der heißen Phase der Finanzkrise war es den G20 noch gelungen, genügend Kooperation sicherzustellen, damit aus der Großen Rezession keine Große Depression à la 1930 wurde. Mittlerweile haben sich jedoch Tendenzen eingeschlichen, die frappant an die 30er Jahre erinnern.
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Experten erinnern im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" daran, dass es nicht zuletzt protektionistische Maßnahmen im Wechselkursbereich gewesen sind, die damals zum Zusammenbruch des Welthandels - mit all seinen dramatischen wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen - geführt haben.
Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld sieht durchaus Parallelen zur jetzigen Situation, in der zahlreiche Länder bemüht sind, sich durch Währungsabwertungen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Abelshauser erinnert daran, dass im September 1931 Großbritannien nach einer schweren Bankenkrise vom Goldstandard als Wertbasis für das Pfund Abstand genommen hat. In der Folge wertete das Pfund um 30 Prozent ab. Länder, die besonders vom britischen Markt abhängig waren, mussten nachziehen. Alles fiel in eine "Spirale" nach unten. Keine Abwertung mussten damals die USA vornehmen - diese hatten ihren Heimmarkt bereits durch hohe Zölle dichtgemacht. Deutschland wiederum behalf sich mit Devisenkontrollen. Am Ende des Tages sei, so Abelshauser, der Welthandel jedenfalls "am Ende" gewesen.
Offiziell alle gegen Egoismen
Was den Wirtschaftshistoriker nachdenklich stimmt, ist, dass damals wie heute alle Länder offiziell gegen Protektionismus auftraten. Nichtsdestoweniger fielen ihm in den Dreißigern aber so gut wie alle Staaten anheim. Dass es diesmal "ein bisschen länger" gedauert hat, bis es zu solchen Tendenzen gekommen ist, führt Abelshauser darauf zurück, dass den Verantwortlichen heute die Rolle des Protektionismus in der Großen Depression bewusst sei. Dass sie eine solche, einmal losgetretene Spirale wieder in den Griff bekommen könnten, bezweifelt der Experte jedoch: Die Geschichte habe tausendfach gezeigt, dass protektionistische Instinkte etwas "Archaisches" seien. Dagegen könnten sich Regierungen letztlich nicht durchsetzen. Was den Währungsstreit zwischen den USA und China - der Kern der Debatte - anbelangt, hält Abelshauser bestenfalls ein Gleichgewicht des Schreckens wie im Kalten Krieg für möglich. Nach dem Motto: "Wer zuerst sticht, stirbt als Zweiter." Überleben können beide nur, wenn keiner losschlägt.
Die Gefahr eines Irrweges wie in den 1930er Jahren sieht auch Herbert Matis von der Wirtschaftsuniversität Wien: "Ich fürchte, es wurde zu früh zur Tagesordnung übergegangen. Für die großen Ungleichgewichte der Weltwirtschaft gibt es keine Lösung." Mittlerweile stehe die Suche nach kurzfristigen Wettbewerbsvorteilen im Vordergrund: "Die USA tun nichts anderes als China." Die Notenbank Fed versuche, die US-Konjunktur durch das Anwerfen der Notenpresse zu stützen. Das senkt den Wert des Dollar - und stelle letztlich sogar dessen Funktion als Weltleitwährung in Frage. Schließlich werden nahezu alle Rohstoffe von Öl bis Gold in Dollar fakturiert.
Würden die Währungen dem freien Spiel der Marktkräfte überantwortet, käme langfristig alles ins Lot. Kurzfristig könnten sich die Ungleichgewichte dadurch aber sogar verstärken, vermutet Matis: "Die asiatischen Märkte sind derzeit so attraktiv, dass sie alles Geld anziehen."