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Kuscheln und kleckern: Verliebte Koalition ohne realpolitische Erfolge

Von Katharina Schmidt

Analysen

"Mediation (...) ist ein strukturiertes freiwilliges Verfahren zur konstruktiven Beilegung oder Vermeidung eines Konfliktes. Die Konfliktparteien (...) wollen mit Unterstützung einer dritten unparteiischen Person (.. .) zu einer einvernehmlichen Vereinbarung gelangen, die ihren Bedürfnissen und Interessen entspricht." Das Online-Lexikon "Wikipedia" liefert die Theorie, die österreichische Regierung die Praxis: Im ersten Monat ihrer Existenz steuert die Neuauflage von Rot-Schwarz ausnahmslos auf Kuschelkurs. Dabei haben Werner Faymann und Josef Pröll gar keinen Mediator, sie sind von selbst so zuckersüß - und stellen es dauernd unter Beweis. | Etwa haben die beiden schon ihre ersten Besuche im jeweils anderen Parlamentsklub absolviert, eine ursprünglich schwarz-blaue Praxis. Oder: Der Brief mit den Weihnachtswünschen kam 2008 erstmals nicht vom Kanzler alleine, sondern auch von dessen Vize - mit voller Gleichberechtigung auch in Sachen Briefkopf. Auf Minister-Ebene funktioniert der neue Stil ebenfalls: So lobte ÖVP-Außenminister Michael Spindelegger "den Herrn Bundeskanzler" für dessen Eloquenz am EU-Gipfel Mitte Dezember. Beim Gratis-Kindergartenjahr sind Unterrichtsministerin Claudia Schmied und Staatssekretärin Christine Marek auf einer Linie. Selbst erste Wolken am Koalitionhimmel wurden am Montag rasch vertrieben: Die Kritik von Gesundheitsminister Alois Stöger an der ÖVP sah man dort gelassen als Überreaktion eines neuen Ministers.


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Der Ursprung für diese neue Liebe liegt zum einen in der alten Koalition. Während dort über weite Strecken gar nichts mehr ging, blieben Faymann und Pröll bei ihrer guten Zusammenarbeit als Koordinatoren. Dass ihnen die Beilegung des Konfliktes dennoch nicht gelang, war wohl nicht zu ihrem Nachteil.

Andererseits sollte man nicht vergessen, dass der Urnengang beiden Großparteien historische Niederlagen und den Verlust der Verfassungsmehrheit im Nationalrat eingebracht hat. Faymann hatte sich schon lange vor dem 28. September darauf festgelegt, nicht mit FPÖ oder BZÖ koalieren zu wollen, und die Grünen sind zu schwach, um alleine Mehrheitsbeschaffer zu sein. Der Kuschelkurs ist also einem gewissen Zwang zur Zusammenarbeit geschuldet.

Dazu kommt, dass im kommenden Jahr - abgesehen von der EU-Wahl, die eher ein gemeinsamer motivatorischer Kraftakt wird - auch noch in vier Bundesländern Landtagswahlen anstehen. In Kärnten will die SPÖ das Post-Haidersche Vakuum füllen, in Salzburg muss Gabi Burgstaller (SPÖ) ihren Posten verteidigen, in Vorarlberg und Oberösterreich gehen zwei ÖVP-Landeshauptleute auf Stimmenfang. Wer braucht da schon Negativ-PR aus dem Bund?

Dass man realpolitisch eher kleckert statt klotzt, fällt angesichts der atmosphärischen Anstrengungen gar nicht so auf. Zu Erinnerung: Bis auf die Absetzbarkeit von Spenden und das lange vereinbarte zweite Konjunkturpaket haben SPÖ und ÖVP nicht viel zustande gebracht. Oder, um zu "Wikipedia" zurückzukommen: Mediation ist gelungen, wenn die erzielte Vereinbarung den "Bedürfnissen" der Konfliktparteien entspricht. Mit Gesetzesänderungen hat das nicht viel zu tun.