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Kuvertmedizin und Wartelistenhüpfer

Von Katharina Schmidt

Politik

Weisungsfreie Antikorruptionsstelle im Bereich der Krankenversorgunggefordert. | Ärztekammer weist Kritik zurück. | Wien. Österreichs Gesundheitssystem ist anfällig für Korruption. Das geht aus dem aktuellen Bericht von Transparency International Österreich (TI-AC) hervor, der am Donnerstag veröffentlicht wurde. Und das, obwohl Österreich im internationalen und europäischen Vergleich recht gut da steht (siehe Grafik). Für die allgemeine Studie 2007 wurden 63.000 Personen in 60 Ländern nach ihrer Wahrnehmung von Korruption in ihrem Land befragt.


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"Es gibt Hinweise darauf, dass das Gesundheitswesen auf allen Ebenen (Patienten, Ärzte, Industrie und Verwaltung) zum Vorteil Einzelner missbraucht wird", heißt es in dem Papier. Und: "Im Einzelfall mag es sich dabei um Bagatellfälle handeln - in Summe schädigt es das System aber erheblich."

Die Kritik im Detail:

Immer wieder gebe es auch in Österreich Fälle von "Kuvertmedizin": Patienten würden für Leistungen gesondert zur Kasse gebeten, für die der Arzt gar keine zusätzliche Bezahlung verlangen darf.

Wartelisten auf Operationen könnten - wie die "Wiener Zeitung bereits vor einem Jahr berichtet hat - von Patienten übersprungen werden, wenn sie sich beim Chefarzt in dessen Privatordination melden. Mittels eines "Chefeinschubs" würden sie dann dennoch im öffentlichen Spital - im erwähnten Fall im Wiener AKH - operiert.

Ärzte begehen laut TI-AC Abrechnungsbetrug, indem sie den Krankenkassen Leistungen verrechnen, die sie nicht erfüllt haben.

Manche Ärzte würden von Pharmafirmen Provisionen für die Verschreibung bestimmter Medikamente kassieren. Zwar gebe es hier Ethik-Kodizes sowohl der Ärztekammer als auch der Pharma-Industrie, deren Einhaltung werde aber kaum kontrolliert. Unregelmäßigkeiten stellte TI-AC auch bei der Auftragsvergabe von Krankenhäusern an Lieferfirmen fest.

Manche Kliniken, die Fördergelder aus dem privaten Bereich erhalten, würden diese nicht ausreichend dokumentieren.

Pharmafirmen umgingen das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Medikamente mit Hilfe von Informationsseiten etwa im Internet.

Im Bereich der Patienten kritisiert der Anti-Korruptionsverein, dass die E-Card von Anspruchsberechtigten an Nichtversicherte vermietet werde.

Schließlich würden Pharmafirmen auch Selbsthilfegruppen unterstützen, um so ihren Umsatz zu steigern. In den USA rechnen die Pharmafirmen laut TI-AC für jeden Dollar an Unterstützung an eine Selbsthilfegruppe mit einer Umsatzsteigerung von bis zu 4,2 Dollar.

Zu den wichtigsten Forderungen von Transparency International zählt daher die Einrichtung einer weisungsfreien, unabhängigen Antikorruptionsstelle im Gesundheitswesen. Außerdem würde es österreichweit klarer Regelungen sowohl für die Nebenbeschäftigung von Ärzten als auch für deren Kontakte mit Pharmafirmen bedürfen.

Während die Ärztekammer sämtliche Kritikpunkte vehement zurückweist, bestätigt der Hauptverband der Sozialversicherungsträger einen Großteil der Vorwürfe.

So erzählt Dieter Holzweber vom Hauptverband, dass Abrechnungsbetrug sehr wohl vorkomme. Im niederösterreichischen Baden habe ein Wahlarzt etwa Leistungen erbracht, die nicht von den Kassen gezahlt werden, auf den Honorarnoten aber Kassenleistungen angeführt, damit die Patienten ihr Geld zurückerhielten.

Hauptverband: Kammer blockiert Kündigung

"So etwas ist klarer Betrug", sagt Holzweber - allerdings würde der Hauptverband meist dahinter kommen. Denn wenn beispielsweise ein Gynäkologe 30 Mal mehr Mammographien verrechne als die anderen Frauenärzte in seinem Bezirk, sei er automatisch verdächtig.

"Das Problem ist aber, dass wir solche Ärzte nicht rasch genug loswerden", klagt Holzweber. Es würden persönliche Gespräche geführt, dann die Schlichtungsstelle bei der Ärztekammer eingeschaltet. Und letztere würde oft eine Kündigung des Kassenvertrags blockieren. "Wenn einer eine Kassenstelle hat, dann ist er pragmatisierter als ein Sektionschef", so Holzweber nicht ohne Frust.

Stimmt nicht, heißt es dazu aus der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK). Laut Martin Stickler von der ÖÄK geht ein eigener Ehrenrat allen Verdachtsmomenten, die etwa von Patienten an die Kammer herangetragen werden, nach und leitet wenn nötig ein Disziplinarverfahren ein. Immer wieder komme es auch zu Berufsverboten - "dann erübrigt sich der Kassenvertrag von allein", sagt Stickler.

Die Wiener Ärztekammer weist ebenfalls alle Vorwürfe zurück. "Gerüchte gibt es überall, die möchte ich nicht kommentieren", meint ein Vertreter und verweist auf den Ehrenkodex der ÖÄK.