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"Kyoto ist kein gutes Vorbild"

Von Claudia Peintner

Politik
Ottmar Edenhofer, Vorsitzender des UNO-Klimarats, im Interview. Foto: TU-Pressestelle/Dahl

Klimaexperte: Eine klare Aussage und ein Fahrplan wären ein Erfolg. | Um Klima-Kosten zu bändigen, brauche es einen globalen Emissionshandel. | "Wiener Zeitung": Viele Seiten malen ein Weltuntergangsszenario an die Wand, für den Fall, dass sich die Staaten in Kopenhagen auf kein neues Weltklimaabkommen einigen. Was ist Ihre Prognose für den Gipfel?


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Ottmar Edenhofer: Ich bin mit Prognosen vorsichtig, denn Verhandlungen können rasch eine nicht vorhersehbare Dynamik gewinnen. Bislang sehe ich, dass zentrale Spieler noch kein völkerrechtlich verbindliches Abkommen wollen. Positiv ist hingegen, dass es von den USA, China, Indien, Japan und Europa Zusagen gibt, die bis 2020 immerhin 49 Milliarden Tonnen CO2 reduzieren wollen. Für einen ambitionierten Klimaschutz fehlen noch weitere fünf Gigatonnen. Es ist nicht unrealistisch zu erwarten, dass die Verhandler hier noch nachbessern. Es sieht also so schlecht nicht aus.

Was wäre aus Ihrer Sicht ein Erfolg des Klimagipfels?

Es wäre sicherlich gut, wenn der Klimagipfel eine klare Aussage machen würde, was wir klimapolitisch erreichen müssen. Eine internationale Vereinbarung, die festlegt, dass man jenes berühmte Zwei-Grad-Ziel erreichen will, wäre aus meiner Sicht ein vernünftiger Schritt. Aber dem müssen weitere Schritte folgen, nämlich ein Fahrplan, wie man die Emissionsrechte verteilen will. Die Entwicklungsländer müssen aber bereits jetzt bei der Anpassung an den Klimawandel und bei der Verringerung ihrer Emissionen finanziell unterstützt werden. Eine Größenordnung von 50 Milliarden Euro pro Jahr bis 2015 wäre aus meiner Sicht richtig, danach sollte die Hilfe auf 100 Milliarden gesteigert werden. Ohne solche Zusagen ist es für die Entwicklungsländer nicht glaubhaft, dass die Industrieländer sie in ein faires Abkommen einbinden wollen.

Das heißt, es braucht nicht unbedingt sofort einen rechtlich verbindlichen Vertrag?

Man wird irgendwann in den nächsten Jahren einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag abschließen müssen. Aber man wird von Kopenhagen nicht erwarten können, dass diese Entscheidung schon jetzt gefällt wird. Kopenhagen muss aber ein erster Schritt sein, dem weitere Schritte folgen. Wenn für diese weiteren Schritte in Kopenhagen ein Fahrplan für die Verhandlungen festgelegt wird, wäre Kopenhagen ein Erfolg. Wir brauchen eine Vereinbarung über die Emissionsminderungen über das Jahr 2020 hinaus. Denn Entscheidungen über die großen Investitionen in die Infrastruktur, also in Elektrizitätsnetze, in Straßen, aber auch in Gebäude in den nächsten Jahren fallen jetzt. Sie legen aber die Emissionen für die kommenden sechs bis sieben Dekaden fest. Es muss daher für die Investoren klar sein, dass die Emissionen auch nach 2020 drastisch sinken müssen und der Preis für CO2 daher stark steigen wird. Daher müssen sich die Staaten in Kopenhagen auch darauf verständigen, wie sie zu einem globalen Emissionshandel kommen. Ohne diesen lassen sich die Kosten des Klimaschutzes nicht in Schach und Proportion halten.

Was genau bezweckt ein solcher Emissionshandel?

Der Emissionshandel ist das zentrale Instrument, und zwar ein weltweiter Emissionshandel. Ich sehe darin die einzige Möglichkeit, wie wir die Emissionsmengen direkt kontrollieren können. Wir dürfen in der Atmosphäre für den Rest des 21. Jahrhunderts nur noch 830 Gigatonnen CO2 ablagern. Diesen knappen Deponieraum der Atmosphäre müssen wir bewirtschaften, in dem wir in diesem Umfang Emissionsrechte ausgeben. Sie müssen handelbar sein, denn nur so entsteht ein Anreiz, dass in jenen Ländern und Sektoren die Emissionen reduziert werden, wo es am günstigsten ist.

Selbst wenn man sich irgendwann auf eine verpflichtende Abmachung einigen würde, dann garantiert diese noch lange nicht einen sofortigen Klimaschutz. Bei Kyoto dauerte es acht Jahre, bis 55 Staaten das Protokoll ratifiziert hatten. Haben wir noch so viel Zeit?

Kyoto ist aber kein gutes Vorbild. Im Gegensatz zu Kyoto sind wir jetzt in einer sehr viel besseren Position. Es ist das erste Mal, dass wir eine internationale große Klimakonferenz haben, bei der die Beteiligten in drei grundlegenden Sachverhalten übereinstimmen. Erstens: Der Mensch ist für den Klimawandel verantwortlich. Zweitens: Ungebremster Klimawandel ist gefährlich. Drittens: Eine ambitionierte Klimaschutzpolitik - das heißt drastische Emissionsreduktionen - ist bezahlbar. Auf dieser Basis kann man jetzt auch zu Kompromissen finden. Es gibt zum Beispiel in China einen sehr massiven Anlauf, die Energieeffizienz zu steigern. Das gleiche gilt für Indien. Beide Staaten wollen dadurch ihre Energiesicherheit erhöhen; es ist also nicht nur der Klimaschutz, sondern auch die Energiesicherheit, die eine Senkung der Emissionen angeraten sein lässt. Daher ist es denkbar, dass wir schneller vorankommen als 1997 in Kyoto.

Es ist derzeit ungewiss, ob Obama im Kongress eine Mehrheit für ein ambitioniertes Klimagesetz bekommt. Geht damit nicht ein Schlüsselement für eine Einigung in Kopenhagen verloren?

Ohne die Vereinigten Staaten wird sich in Kopenhagen nichts bewegen. Was sie bisher vorgelegt haben, ist eine Emissionsreduktion um 17 Prozent gegenüber 2005. Verglichen mit dem Basisjahr 1990 sind das gerade einmal vier Prozent. Das ist noch ein sehr dürftiges Angebot. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass er für Überraschungen gut ist.

Hinter den Kulissen lobbyieren Umwelt-Aktivisten und Industriezweige gegeneinander. Ökologie und Ökonomie, ein Widerspruch? Nein, es kann kein Widerspruch sein, weil auch die Wirtschaft auf ein funktionierendes Erdsystem angewiesen ist. Die europäische Industrie bestreitet nicht, dass wir einen ambitionierten Klimaschutz benötigen. Die europäische Industrie will aber ein globales Abkommen, um langfristig Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Das ist wirtschaftspolitisch eine nachvollziehbare Forderung. Sie ist aber auch klimapolitisch sinnvoll. Denn ohne ein globales Abkommen besteht die große Gefahr, dass die Emissionsminderungen in Europa dazu führen, dass in China und Indien mehr emittiert wird. Das kann aber nicht im Interesse des Klimaschutzes sein. Insofern gibt es hier zwischen Klima- und Wirtschaftspolitik keine Zielkonflikte.

Nicht alle Wissenschafter teilen die Meinung, dass die vom Menschen verursachten Emissionsausstöße schuld an der Erderwärmung sind. Es gibt Studien, wonach es seit 1998 wieder kühler wird, obwohl der CO2-Ausstoß weiter gestiegen ist.

Es gibt eine wissenschaftliche Debatte, ob und warum die globale Mitteltemperatur in den letzten zehn Jahren nicht mehr gestiegen ist. Dabei geht der Streit zum einen darum, welchen Beobachtungszeitraum man zu Grunde legen soll und welche Effekte dafür verantwortlich sein könnten. Es hat immer Dekaden gegeben, in denen die globale Mitteltemperatur nicht gestiegen ist. Aber kein Klimawissenschafter bestreitet, dass sich der Trend langfristig durchsetzt, wenn die atmosphärische Konzentration weiter steigt.

Bei der Debatte um den Klimawandel wird immer zuerst der CO2-Ausstoß genannt. Haben wir das Problem gelöst, wenn wir diesen in den Griff bekommen?

Wir haben auch noch andere Treibhausgase wie zum Beispiel Methan, um die wir uns kümmern müssen. Sie spielen vor allem eine Rolle, wenn es um Land- oder Reisanbau geht, aber auch um die Viehwirtschaft. Aber um gefährlichen Klimawandel zu vermeiden, ist eine Konzentration auf CO2 gerechtfertigt, weil es das wichtigste Treibhausgas ist.

"Für Investoren muss klar sein, dass Emissionen drastisch sinken müssen und der CO 2 Preis steigen wird."

Zur PersonOttmar Edenhofer ist Vorsitzender im UNO-Klimarat (IPCC). Der deutsche Ökonom und Klimaforscher lehrt als Professor an der Technischen Universität Berlin und ist Stellvertretender Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.