Corbyn sucht nach Verbündeten für einen Misstrauensantrag gegen Premier Johnson. Doch die Gegner eines No-Deal-Brexit sind gespalten.
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London/Wien. Jeremy Corbyn ist sich jetzt ganz sicher: Der Chef der oppositionellen Labour-Partei will tun, was nötig ist, um einen EU-Austritt Großbritanniens ohne Abkommen zu verhindern. Die Offensive kommt reichlich spät: Seit drei Jahren streitet das Land darüber, wie der Brexit aussehen soll, seit Monaten geht gar nichts mehr voran - und am 31. Oktober soll man die EU verlassen. Corbyn fordert nun Neuwahlen, noch bevor der Brexit vollzogen ist.
Am Dienstag traf er Abgeordnete anderer Parteien, um seine Pläne für einen Misstrauensantrag gegen Premier Boris Johnson voranzutreiben. Gibt es dafür eine Mehrheit im Parlament, kommt es zu Neuwahlen - allerdings nur, wenn keine neue Regierung zustande kommt. Vor 2011 hätte jedes Misstrauensvotum unverzüglich zu Neuwahlen geführt. Doch der "Fixed-term Parliament Act" erlaubt es dem Premier oder anderen Parteien, innerhalb von 14 Tagen eine neue Regierung zu bilden. Scheitert dies am Parlament, muss es Neuwahlen geben.
Riskantes Unterfangen
Doch auch die Mehrheit für einen Misstrauensantrag ist keineswegs gewiss: Das Lager der Abgeordneten, die einen No-Deal-Brexit verhindern wollen, ist gespalten. So spricht sich etwa die ehemalige Tory-Abgeordnete Anna Soubry gegen Neuwahlen aus: "Sie würden nichts lösen."
Andere, darunter die Liberaldemokraten, stoßen sich daran, dass Corbyn selbst die Führung übernehmen will: Der Labour-Chef plant, in der Frist nach dem Misstrauensvotum Premier einer Übergangsregierung zu werden, um den Brexit zu verschieben und danach zu den Urnen zu rufen. Dafür bräuchte er allerdings eine Mehrheit im Parlament - und genau hier liegt das Problem: Scheitert Corbyn, könnte der amtierende Premier Johnson den Termin für die Wahlen festlegen.
Die Hardliner um den neuen Tory-Chef wollen damit warten, bis der EU-Austritt vollzogen ist. Der proeuropäische Ex-Tory Nick Boles warnt deshalb vor Neuwahlen und fordert Corbyn auf, mit seiner Offensive zu warten, bis es dem Parlament gelungen ist, den Brexit erneut zu verschieben und ein Austritt ohne Abkommen zu verhindern. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass Johnson den 1. November als Wahltermin anpeilt. Das alte Versprechen, das Land rasch aus der EU zu führen, hätte der Tory damit eingehalten. Und die Folgen eines ungeordneten Austritts wären einen Tag nach dem Brexit noch nicht spürbar - und würden sich damit auch nicht auf den Wahlerfolg Johnsons auswirken.
Beim G7-Gipfel am Wochenende wirkte der britische Premier, als befände er sich bereits mitten im Wahlkampf. Die Inszenierung mit US-Präsident Donald Trump mag tollpatschig gewesen sein, ihren Zweck erfüllte sie allemal: Der Auftritt war ein Signal an die Briten, dass die Rückkehr zu den glorreichen Zeiten transatlantischer Allianzen unmittelbar bevorsteht. Trump versprach "ein sehr großes Handelsabkommen", Johnson sprach von einem "fantastischen Deal, sobald die Hindernisse aus dem Weg geräumt sind".
Einen ungeregelten EU-Austritt zu stoppen wird also schwierig. Das Parlament sucht nach Schlupflöchern, doch die Zeit arbeitet gegen die Abgeordneten: Bis zum 31. Oktober sind nicht einmal mehr 30 Sitzungstage geplant.