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Labour gibt Weg frei für Brexit-Alternative

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Großbritanniens größte Oppositionspartei plädiert für eine weitere Zollunion mit der EU - und bringt Premier May in Not.


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London. Mit einem politischen Schwenk von größter Bedeutung hat die britische Labour Party am Montag erstmals den Weg zu einer Brexit-Alternative auf der Insel gewiesen - und Premierministerin Theresa May in enorme Schwierigkeiten gebracht. Die Arbeitspartei will sich nun für den Verbleib Großbritanniens in einer Zollunion mit der EU nach dem Austritt aus der Union starkmachen. Labour strebt außerdem eine "enge Beziehung" zum EU-Binnenmarkt an und schließt, trotz zahlreicher Vorbehalte, eine Form erneuter Teilhabe am gemeinsamen Markt nicht mehr grundsätzlich aus.

Bisher hatte die wichtigste Oppositionspartei im Königreich eine weitere Zugehörigkeit zu beiden nur für die geplante zweijährige Übergangsphase nach dem Brexit in gut einem Jahr vorgesehen. Jetzt hat sie sich zu einer dauerhaften Zollunions-Mitgliedschaft bekannt.

Damit scheidet sich der Weg der konservativen Regierung von der Labour Party erstmals seit dem EU-Referendum vom Juni 2016. Denn May bestätigte erneut, dass ein Verbleib Großbritanniens in Zollunion oder Binnenmarkt nicht in Frage kommt. Nach dem Willen der Brexit-Befürworter, die in der Regierung den Ton angeben, muss der EU-Austritt London nämlich das Recht auf eine eigenständige Vereinbarung von Handelsverträgen mit aller Welt verschaffen. Darauf besteht Labour nicht mehr.

Der Schwenk ist deshalb von so großer Bedeutung, weil mindestens ein Dutzend pro-europäische Tory-Abgeordnete ihr Land ebenfalls in der Zollunion halten und demnächst im Unterhaus gegen die harte Linie der eigenen Regierung stimmen wollen. Theoretisch verfügen die Gegner eines harten Brexit jetzt über eine hauchdünne Mehrheit im Parlament.

Sollte die Premierministerin nicht in letzter Minute noch einlenken, riskiert sie damit eine parlamentarische Niederlage in der Kernfrage ihrer Brexit-Politik - eine Niederlage, die wohl zu ihrem Rücktritt führen müsste und möglicherweise schon wieder in Neuwahlen münden würde. Dass sie nicht einlenkt, dafür wollen die Brexit-Hardliner in Kabinett und Partei sorgen, die May ihrerseits mit Absetzung drohen, falls die Regierungschefin sich nicht an "die Abmachungen" hält.

Teilnahme mit Garantien

Die Positionsänderung Labours, auf die EU zu, verkündete Parteichef Jeremy Corbyn. Er selbst hegt zwar wenig Sympathien für die EU, ist aber von seiner Partei nach und nach zu dem Schwenk gedrängt worden.

In seiner Rede erklärte Corbyn, nur über eine Zollunion sei weiterer unbehinderter Warenaustausch mit der EU möglich. Einzig und allein auf diese Weise lasse sich auch eine neue harte Grenze quer durch Irland verhindern. Als "praktikable Lösung" betrachte er daher "die Aushandlung einer neuen, umfassenden Zollunion" zwischen dem Königreich und der EU, meinte Corbyn. Mitsprache müsse London in dieser "neuen" Zollunion haben, wo künftige EU-Deals britische Interessen berührten, fügte er hinzu.

In seiner Ansprache in der mittelenglischen Stadt Coventry mit ihrer berühmten Auto-Produktion betonte Corbyn die Notwendigkeit enger wirtschaftlicher Anbindung seines Landes an die EU: "Arbeitsplätze und Lebensstandards der Bevölkerung kommen zu allererst." Coventry gehört zu den Gebieten, die beim Brexit-Referendum überwiegend für einen EU-Austritt gestimmt hatten: Genau diese Wähler sucht Corbyn nun mit sich zu ziehen. Seine Partei, sagte er, sei für eine Vereinbarung mit der EU, "die uns vollen Zugang zu Europas Märkten gibt und uns Vorteile und Nutzen des Binnenmarkts und der Zollunion erhält - ohne neue Behinderung des Handels und ohne alle Verminderung von Rechten, Normen und Schutzmaßnahmen".

Bei der Zugehörigkeit zum Binnenmarkt trat Corbyn jedoch vorsichtig auf. Für ihn wäre das höchstens denkbar, wenn die Briten von der EU Garantien erhielten. London müsse zum Beispiel in der Lage sein, Versorgungsunternehmen im eigenen Lande zu verstaatlichen, die britische Industrie nach Belieben zu subventionieren und auf Immigration in irgendeiner Form Einfluss zu nehmen. Das sei noch immer eine Politik des "Rosinenpickens", wandten Corbyn-Kritiker darauf ein.

Viele Labour-Vertreter gehen auch davon aus, dass eine Zugehörigkeit zur Zollunion ohne Mitgliedschaft im Binnenmarkt nicht ausreicht. Am Wochenende hatten 80 prominente Labour-Politiker in einem offenen Brief an Corbyn die Notwendigkeit eines britischen Verbleibs auch im EU-Binnenmarkt unterstrichen. Nur so, argumentierten sie, lasse sich der wirtschaftliche Schaden minimieren, den der Brexit anrichte.

Für Brexit-Hardliner ist dagegen schon der Schritt Labours auf die Zollunion zu ein "Verrat am Volkswillen". Nun habe Corbyn endgültig Millionen Labour-Wähler "betrogen", erklärte der frühere Ukip-Führer Nigel Farage. Außenminister Boris Johnson nannte Corbyns Rede "zynisch und voller Illusionen".

Positiv aufgenommen wurde die neue Ausrichtung Labours aber in Wirtschafts- und Gewerkschaftskreisen. Sowohl der Britische Industriellenverband wie das Institut der Geschäftsführer in Großbritannien lobten Corbyn dafür, "die Debatte ausgeweitet" zu haben.